Die Ausstellung “Gute Aussichten“ zeigt junge deutsche Fotografie von Studenten in den Deichtorhallen. Verspielt, ernsthaft, jung.

Deichtorhallen. Sie inszenieren und dokumentieren, sie konstruieren Bilder und manipulieren sie in der Dunkelkammer. Sie haben sich auf die Spuren ihrer Großväter begeben und in einer Klinik für Suchtkranke recherchiert. Sie haben den Blick fürs Detail und fürs große Ganze. Nur eines ist ihnen fremd: Sie wollen keiner "Schule" angehören.

"Gute Aussichten" heißt die Ausstellung von deutschen Hochschulabsolventen des Jahrgangs 2010/2011 in den Deichtorhallen, sie zeigt sieben höchst verschiedene Arbeiten. Jede von ihnen auf hohem Niveau - verspielt, ernsthaft, experimentell. "Die Kritik daran, Nachwuchskünstlern das Haus zur Verfügung zu stellen, ist inzwischen verstummt", sagt Deichtorhallen-Kurator Ingo Taubhorn, zum siebten Mal findet die Leistungsschau junger Fotografie in seinem Haus statt. "Doch es ist ein langer Weg gewesen." 96 Arbeiten sind in diesem Jahr eingereicht worden, auf sieben konnte sich die siebenköpfige Jury mit ihrem prominenten Mitglied Thomas Ruff einigen.

Von den großen Räumen und den damit verbundenen Möglichkeiten profitieren vor allem Helena Schätzle sowie das Künstlerpaar André Hemstedt und Tine Reimer. Helena Schätzle, Absolventin der Kunsthochschule Kassel, ist den Weg ihres Großvaters nachgegangen, der im Mai 1945 in Tabór/Südböhmen in russische Gefangenschaft geraten war und nach einer Odyssee durch verschiedene osteuropäische Länder im April 1946 fliehen konnte.

2621 Kilometer ist seine Enkeltochter diesen Fluchtweg abgegangen und hat ihn dokumentiert: Ihre Studien sind oft von zeitloser Schönheit, andere einfach brutal - wie eine verwüstete Industriebrache in Rumänien, über die sich ein Trauerschleier gelegt hat. Die großformatigen Landschaftsbilder wiederum kontrastieren mit würdevollen Porträts, die Helena Schätzle von alten Menschen gemacht hat; als Junge hatten sie nach dem Krieg in den Dörfern und Städten gelebt, die ihr Großvater streifte. Gehängt sind ihre Arbeiten wie eine Topografie dieser Irrfahrt.

Die Fotoinstallation von Arne Hemstedt und Tine Reimer trägt den komplizierten Titel "Konstruktion von Bewegung - über das Handeln und die Wahrnehmung des Menschen in einem Gleichgewichtssystem". Fünf Wände lang erstreckt sich diese Installation, in der die beiden Fotokünstler Kipppunkte und andere Grenzzustände festhalten. Die in Prolog, Hauptteil und drei Epiloge strukturierte Arbeit zeigt Balanceakte im Raum, sachliche konstruierte Bilder stehen gegen emotionale, wie die Aufnahme eines auf dem Bauch liegenden Kindes.

Auf einem einfachen "An! Aus!"-Prinzip basieren die Bilder von Stephan Tillmans, übrigens nicht verwandt mit dem berühmten Fotografen Wolfgang Tillmans. Für seine "Leuchtpunktordnungen" hat er in seiner Wohnung ein Zelt aufgebaut, in dem eine Kamera und verschiedene Röhrenfernsehgeräte aufgestellt waren.

Tillmans hat das Zusammenfallen des Bildes beim Ausschalten fotografiert, wenn am Ende nur noch ein Lichtstreifen auf der Mattscheibe zu sehen ist. 800- bis 1000-mal musste er den Auslöser der Kamera und den Ausschaltknopf des Fernsehers pro Bild betätigen, um genau die richtige Millisekunde zu erwischen. Ähnlich wie die Musique concrète, die Klänge aus Natur und Technik aufgenommen und verfremdet hat, sind Tillmans' abstrakte Arbeiten fotografiekonkret.

Auch Samuel Hennes Stillleben sind aus Alltagsgegenständen konstruiert. Er hat aus Wäscheklammern, Draht, Pillen, Schrauben, Trinkhalmen und anderen Kleinteilen fremdartige Objekte gebaut und daraus eine heitere und farbige Serie zusammengestellt, die von Pop-Art und den Nonsens-Objekten eines Marcel Duchamp beeinflusst sind. Jan Paul Evers benutzt Skizzen und Bilder wie das Foto einer schnittigen Segelyacht, um diese Vorlagen dann im Labor zu transformieren und daraus abstrakte Bilder entstehen zu lassen, die ihre Basis in der Realität haben, aber oft nicht mehr zu deuten sind. Katrin Kamrau befasst sich in ihrer Installation "Spektrum" mit der Fotografie als solcher. Sie zeigt Werkräume, Labore und gedankliche Räume in Form von Texten. Aus vielen Teilen ergibt sich eine Art von Puzzle, welches das breite Arbeitsfeld des Fotografen zeigt. Die Fotografin wird hier zur Beobachterin ihrer selbst.

Schmerzliche eigene Erfahrungen sind der Ausgangspunkt von Rebecca Sampson. Die junge Fotografin litt früher an Bulimie und hat sich in die Klinik begeben, in der sie selber therapiert wurde. Ihre Fotos von Patienten mit Essstörungen, darunter viele Porträts, sind wie ein Blick mit der Kamera in die Seele und zeugen von dem großen Vertrauen, das diese kranken Menschen einem anderen entgegenbringen. Essgestörte haben Angst vor ihrem eigenen Abbild. Die Betroffenen aber haben den Schritt gewagt, ihren Körper und ihr Gesicht zu zeigen.

Dass "Gute Aussichten" oft nur der erste Karriereschritt ist, zeigt eine Ausstellung, die ebenfalls heute eröffnet wird, allerdings in der Galerie Robert Morat: Der in Leipzig lebende Fotokünstler Markus Uhr gehörte 2005/ 2006 zu den Gewinnern bei "Gute Aussichten", bei Morat sind seine collageartigen Arbeiten jetzt in einer Einzelausstellung zu sehen.

Hotspot: Markus Uhr 21.1.-19.3., Di-Fr 12.00-18.00, Sa 12.00-16.00, Robert-Morat-Galerie (U Meßberg), Kleine Reichenstr. 1, Eintritt frei; weitere Infos: www.robertmorat.de