Das St.-Pauli-Theater widmet dem großen Übertreiber Thomas Bernhard einen Abend

St.-Pauli-Theater. Man kann den Eindruck bekommen, dass sich im Bernhard-Jahr, in dem der Chorgesang der Elogen, Würdigungen und Lobpreisungen des gewaltigen Autors in den Feuilletons anschwillt, viele danach sehnen, in den Zustand einer schönen bernhard'schen Erregung zu kommen. Die Bernhard-Fans scheinen darüber hinaus aber schon immer besonders enthusiastisch gewesen zu sein, was ihren Meister angeht. Und anders als Thomas Bernhard, der vor 80 Jahren geborene und 1989 verstorbene große Romancier, Dramatiker und Lyriker, sind die Zustände der Begeisterung bei seinen Lesern von Glücksgefühlen durchtränkt. Bernhards Tiraden und Erregtheiten schwammen eher in einer zähen, dickflüssigen Suppe des Ressentiments.

Seine Leidenschaft, die nur Ignoranten als typisch österreichisches Granteln bezeichnen können, spiegelt sich in der Leidenschaft seiner Leser. Weshalb der in diesem Jahr wieder so lautstark Ge- und Verehrte bestimmt einen Ehrenplatz in der Reihe "Suchers Leidenschaften" bekommt.

Der Theater- und Literaturwissenschaftler C. Bernd Sucher reist mit seinem Programm seit mehr als einem Jahrzehnt durch die Städte und lässt das geneigte Publikum an seinen Liebhabereien teilhaben: Im Jahr 2011 widmet er sich unter anderem Rilke, Tschechow und Duras.

Aber im Hamburger St.-Pauli-Theater liegt das Augenmerk ganz auf Bernhard. Man darf gespannt sein, wie Sucher sich dem Phänomen des notorischen Übertreibers nähert. Als Verstärkung holt er sich jedenfalls den Schauspieler Christian Redl zur Seite. Monologisieren, in Bernhards Worten: Das sollte drin sein. Leider hat der große Schimpfer Bernhard nie über Hamburg gemeckert (gab es nicht in "Meine Preise" sogar ausgesprochen Freundliches über die Stadt im Norden zu lesen?), und so ist ein Bernhard-Abend außerhalb des hassgeliebten Österreichs natürlich immer eine Trockenübung.

Da kann niemand beleidigt sein, und wenn Thomas Bernhard, der ein Moralist war, grundsätzliche Suaden und Philippiken über die allgemeine Schlechtigkeit anstimmt, dann fühlt man sich damit natürlich nicht gemeint. Herrlich.

Die Eheleute Auersberger zum Beispiel, sie begegnen uns in Bernhards vielleicht bestem Roman "Holzfällen. Eine Erregung". Diese Auersbergers warten in einer kleinen Gesellschaft auf die Ankunft des Schauspielers, der mit seiner Anwesenheit die kunstsinnigen Bürger beehren soll. Der Ich-Erzähler, nennen wir ihn Thomas Bernhard, sitzt im Ohrensessel und begeht dieses sogenannte künstlerische Abendessen in misanthropischer Gespanntheit. 20 Jahre hat er die Auersbergers nicht gesehen, und sie haben doch noch gar nichts getan, aber das schon zu Beginn des Abends bedrängte Ich geht gleich in die Vollen: Die Eheleute Auersberger hätten in 20 Jahren "allein bei Nennung ihres Namens durch Dritte Übelkeit verursacht".

Bernhards Kunst bestand darin, blinde Flecken über alle Grautöne zu legen. Die sah er einfach nicht. Und so wird ein wetterfühliges und jahreszeitensensibles Nervensystem, zugehörig zu einem narzisstischen Wahrnehmungsapparat, zum Urheber übersteigerter Aussagen: "Gerade dieser lange krankmachende Winter, den ich unglücklicherweise, wie ich jetzt denke, im Wien (...) verbracht habe, hat in mir alles Literarische und alles Philosophische abgetötet gehabt (...) Diese entsetzliche Stadt Wien, dachte ich, die mich tief in die Verzweiflung und tatsächlich wieder einmal in nichts als Ausweglosigkeit gestürzt hat, ist plötzlich der Motor, der meinen Kopf wieder denken, der meinen Körper wieder wie einen lebendigen reagieren lässt."

Bernhardianer finden dieses Zitat bestimmt harmlos und fänden andere Stellen, in denen Bernhard brandmarkt, was anderen heilig ist. Wer einmal verstanden hat, wie lustig Bernhard eigentlich ist, der wird allemal feststellen: So unversöhnlich war er gar nicht, der große Hasser Thomas Bernhard. Wie kann man etwas hassen, das einen wieder "lebendig" werden lässt?

Suchers Leidenschaften Thomas Bernhard, heute 20.00, St.-Pauli-Theater (U St. Pauli), Spielbudenplatz 29/30, Eintritt 18,-