Von 2013 an wird Karin Beier das Deutsche Schauspielhaus leiten. Sie will Erfolg, charismatische Schauspieler und ein Theater, das sich einmischt.

Hamburg. Wird jetzt alles gut am Schauspielhaus? Jetzt, wo die Kölnerin Karin Beier, Deutschlands erfolgreichste Intendantin, die gestern in Hamburg ihren Vertrag unterschrieben hat, die nächste Intendantin am Deutschen Schauspielhaus wird? Ja, es wird gut, kann man da mal frech behaupten. Denn es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn diese zupackende, wache Regisseurin, die aussieht, als habe sie immer schon gewusst, was sie will, dass diese Karin Beier das seit zehn Jahren schlingernde Haus nicht wieder zu einem der aufregendsten Theater in Deutschland machen könnte.

Anfangen wird sie in der Spielzeit 2013/14 und ihr Vertrag gilt für fünf Jahre. Alle beim Schauspielhaus geplanten Einsparungen sind vom Tisch. Die Zuwendungen werden sich sogar erhöhen. Sie sucht "charismatische Schauspieler. Die braucht diese große Bühne. Ausschließlich." Finden wird sie sie, keine Frage. "Das Schauspielhaus ist attraktiv, Hamburg ist attraktiv", sagt sie, "fast jeder will hierherkommen." Und unterschlägt dabei, dass sie mit sehr vielen tollen Schauspielern seit Jahren schon zusammenarbeitet. "Aber Hamburg ist da sicher noch mal ein Pfund."

Natürlich kann man Erfolge nicht prophezeien, planen oder herbeireden. Aber für Beier und ihr Theater sprechen beispielsweise, dass jede einzelne Produktion, die im Monat März im Schauspiel Köln auf dem Spielplan steht, ausverkauft ist. Ausverkauft! Wann hat es das zuletzt am Deutschen Schauspielhaus gegeben? Vermutlich bei Gründgens. Beier gibt zu, dass sie viele der Regie- und Schauspielernamen vom Schauspielhaus gar nicht kennt. Kein Wunder: Bleich, ausdruckslos, unbewegt wirkt das Ensemble. Gefahrlos die Aufführungen. Ja, Herrgott noch mal, sollte das Theater nicht gerade das Gegenteil sein? Sollte es nicht unerhörte Begebenheiten zeigen, Konflikte, Drama, die Lust an Möglichkeiten?

Karin Beier steht genau für jenes Andere: "Ich weiß auch nicht, wie es geht", sagt sie, "man braucht eine gute Mischung. Wir haben etwa nicht damit gerechnet, dass ein dreieinhalbstündiger Jelinek-Abend jedes Mal nach einer halben Stunde ausverkauft ist." Offenbar ist die Mundpropaganda in Köln so groß, dass man alles, was am Schauspiel gezeigt wird, gesehen haben muss. "Die Kölner lieben Sie, oder?" - "Ja", antwortet Karin Beier und lacht, "ich bin kurz vor der Heiligsprechung." Hinzu kommt der künstlerische Erfolg. Denn "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" von Elfriede Jelinek geschrieben und von Karin Beier inszeniert, ist auch unter den zehn besten deutschsprachigen Inszenierungen, die 2011 zum Theatertreffen eingeladen wurden. "Leider muss ich mir eingestehen, dass mir diese Auszeichnung viel bedeutet, obwohl ich mir immer wieder sage, dass im Theater oft ganz andere Dinge wichtig sind", sagt Beier und winkt im Restaurant rasch die Kellnerin herbei. Jetzt will sie also doch etwas essen, jetzt ist sie scheinbar in ihrem Element.

Es gibt so viel zu sagen. Über Aufführungen, die "nah dran sein sollten an dem, was in der Stadt passiert. Man muss genau hingucken, die Menschen ansprechen", erklärt sie. "Natürlich machen wir auch Theater mit politischem Anspruch. Es gibt so viele Themen. Wenn man nur mal über die derzeitigen Volksbewegungen nachdenkt. Ich verstehe darunter allerdings nicht unbedingt projektorientiertes Theater. Davon haben die Zuschauer am Schauspielhaus seit Tom Strombergs Zeiten wahrscheinlich genug." Nein, Inszenierungen dürfen auch "anstrengend sein und viel Konzentration erfordern", aber sie sollten etwas mit den Zuschauern zu tun haben. Wie beispielsweise der Jelinek-Abend, auf den sie sich sieben Monate vorbereitet hatte und der sich sehr viel mit dem eingestürzten Kölner Stadtarchiv beschäftigt. Die Kölner mögen diese Auseinandersetzung mit ihrer Stadtgeschichte. "Das Theater fordert Menschen auf, sich einzumischen. Wir bekommen jeden Abend stehende Ovationen."

Karin Beier erzählt viel, nicht zu viel. Aber sie spricht genau, zügig, hört zu. Sie ist eine Frau, die keine Zeit zu verlieren hat. Sie ist 45 Jahre alt, sie inszeniert, seit sie 19 ist, sie leitet einen Betrieb mit rund 200 Mitarbeitern und hat eine vierjährige Tochter. Sie ist klug, zielgerichtet.

"Ein Wahlkampf ist eine sehr gute Zeit, um zu verhandeln", erklärt sie. "Man bekommt gute Bedingungen für das Theater. Ich handele die ja nicht für mich aus, sondern für Hamburg." 600 000 Euro mehr soll das Schauspielhaus bekommen, wenn sie hier als Intendantin antritt. Das Junge Schauspielhaus wird in die Gaußstraße umziehen, dorthin, wo auch das Thalia spielt und wo sich demnächst wohl die Theaterakademie ansiedeln wird. Der Malersaal wird dann als kleine Bühne wieder dem Schauspielhaus zur Verfügung stehen. Eine Million mehr gibt es dafür im Etat. Was beinahe das Wichtigste ist, denn alle Hamburger Staatstheater sind seit Jahren durch die Tariferhöhungen für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ausgeblutet: Rückwirkend bis 2008 und zukünftig werden sämtliche Tariferhöhungen zu 100 Prozent ausgeglichen werden. Ohne dass die Kulturbehörde dafür ihren Haushalt belasten muss. Karin Beier will nun erst einmal "die Strukturen des Schauspielhauses begreifen. Wenn man etwas verändern will, muss man das am Anfang machen." Das größte deutsche Sprechtheater gilt bekanntlich als schwer zu leiten. Einer ihrer Vorgänger, Frank Baumbauer, bei dem sie in den 90er-Jahren auch inszenierte, habe ihr gesagt: "Ein Jahr am Schauspielhaus ist wie ein Hundejahr." Sieben Jahre also.

Spannend dürfte die Konkurrenz zu Thalia-Intendant Joachim Lux werden. Lux und Beier kennen sich seit Beiers erster Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus vor 19 Jahren, als er ihr Dramaturg war. Oft haben sie danach zusammengearbeitet. "Wir sind wie ein altes Ehepaar", hat Karin Beier gestern gesagt. "Aber diese Stadt ist groß genug für zwei Staatstheater. Konkurrenz belebt das Geschäft. Außerdem führe ich Regie, er ist ein Manager." Die Zuschauer können nur profitieren.

Auf die Frage, was Karin Beier nun nach Hamburg gelockt hat, antwortet sie ganz offen: "So ein Angebot bekommt man einmal im Leben. Das Schauspielhaus ist eines der schönsten Theater der Welt. Ich bin mir sehr sicher, dass es mir gelingen wird, hier eine tolle Truppe zusammenzustellen." Freuen wir uns drauf.