Wenn wir uns den perfekten Kultursenator für die Hansestadt basteln könnten - was müsste er machen, fühlen, wollen? Eine Wunschvorstellung.

Hamburg. Es würde dieser Stadt so guttun. Wenn da mal endlich einer käme, dem die Welt nicht genug ist, so wenig genug ist, dass er sie herholt, weil er einen Namen trüge, der glitzert wie an guten Tagen die Sonne auf die Elbe. Der Berlin nach Hamburg brächte. Nicht weil Hamburg das bräuchte, sondern weil es logisch ist. Berlin, das ist gerade so sehr das Ende eines Prozesses, wie es vor 20 Jahren der Anfang war.

Berlin, das sind Menschen, die sich im ewigen Zirkel der Retromoden und Biolimonaden sehr von sich selbst entfremdet fühlen und darüber stundenlang reden. Neulich war das mal wieder sehr interessant zu beobachten: Da haben sich einige Bewohner eines besetzten Hauses an der Liebigstraße lautstark empört, dass man sie nicht mehr kostenneutral in Szenelage unterbringen wollte. Ging es ihnen dabei um Berlin? Nein, es ging ihnen nur um sich selbst.

Hamburg ist jetzt schon Jahre weiter. Hamburg hat das Gängeviertel (und fast mal ein Frappant-Gebäude gehabt), weil sich junge Künstler dafür interessierten, was aus ihrer Stadt wird. Wem sie gehört. Und wem sie nie gehören sollte. Das wüsste der neue Senator. Weil er ein bisschen mehr Gärtner wäre und weniger Erntedrescher. Weil er sich am Wildwuchs in der Stadt freuen würde, an den Orten, die noch leben, die standhalten. Er würde das aushalten. Würde das mögen. Wer in diesen Tagen nach Hamburg zieht (und nicht nach Berlin), der findet eine Stadt mit Ankern und Verankerung, was kein Endpunkt ist, schon gar kein komischer - wie Rocko Schamoni jüngst befand.

Doch wofür steht eigentlich Hamburg in diesen Tagen? Viel von dieser Antwort liegt in der Personalie des neuen Hamburger Kultursenators, der neuen Hamburger Kultursenatorin. Des neuen Präses der Kulturbehörde. Was würde sie oder er tun? Wenn man träumen dürfte? Und wenn man mal Hamburg beschriebe, ohne zu meckern? Ohne wirklich weg zu wollen? Weil Wegwollen auch immer nur eine Flucht ist. Der einfachste Weg aus der Langeweile, die man empfindet - weil man selbst keine Antworten hat.

Weil diese Stadt derzeit eine Frage ist, keine Antworten hat, ist sie spannend. Was macht eine Stadt, die Kultur hat und bald eine Elbphilharmonie, die ein Flaggschiff sein kann, aber noch lange nicht ist, und was wäre dann eigentlich dessen Hafen? Hamburg war nie Hauptstadt, wollte es nie sein, dieser Senator, diese Senatorin wüsste das. Weil er selbst schon einmal hier gelebt hat. Er wäre genervt davon, die Kulturpolitik in den Händen der "Hamburg Marketing" zu wissen. Wäre genervt vom Hamburg des Großstadtreviers. Ein Museum zu schließen - das käme ihm nicht in den Sinn. Und wenn ja, dann würde er sich zumindest vorher informieren, ob das rechtlich überhaupt möglich ist.

Er würde sich nicht vereinnahmen lassen, nein. Er würde dem Bürgermeister widersprechen, wenn ihm danach wäre. Sein Name allein ließe das zu. Er würde auch keine Sparbeschlüsse verkünden, er würde sie einfach ignorieren. Eine Lösung finden. Vielleicht Mäzene auftreiben.

Den Vorwurf der Langeweile würde er nicht gelten lassen, wer gelangweilt ist, der kann nach Dubai ziehen. Oder nach Berlin. Wenn man ihn fragte, warum er so arrogant ist, würde er in die Luft schauen. Und sinnieren. Ein bisschen von Rom erzählen oder von Reykjavik, wo ja die Narren an der Macht sind - nicht der schlechteste aller Gedanken. Nein, er wäre kein Quotenmann, sie keine Quotenfrau, Qualität kommt nicht von Quote. Er wäre ein Feuerkopf und Menschenfänger, ein Triebtäter, unermüdlich, dem Glamour hold, der Substanz aber auch. Er könnte aus dem Stand eine Rede halten, die man ohne Bedenken in die Welt streamen könnte. Denn auch da hätte man seinen Namen schon gehört - in London, Paris und New York. Er hätte ein Telefonregister, das von Werner Spies bis Jack Nicholson reichte, von Peter Stein über Fanny Ardant bis Tarantino.

Er würde jede Woche zu Mittag essen mit einem Kulturmenschen dieser Stadt, mit Christine Ebeling, Amelie Deuflhard, Joachim Lux. Er würde mit ihnen diskutieren und viel streiten, was für ihn kein Termin wäre, sondern ein Bedürfnis. Er wüsste, dass die Elbphilharmonie der Standard ist, der Standard sein muss, wenn man sich selbst als Metropole bezeichnet. Und dass eine Elbphilharmonie alleine nicht reicht. Weil da ein Gefühl sein muss, das jeder Durchreisende in sich aufsaugt, das Gefühl von Berlin vor der Liebigstraße. Eine Ahnung von den Möglichkeiten, die diese Stadt bietet, die nicht enden, wenn man das große Konzert verlässt, weil die Nacht dann erst beginnt: Städte sind wie ihre Nächte - in der Neustadt, in Altona, in Wandsbek.

Davon erzählen die Leute, wenn sie heim kommen. Ob sie etwas gespürt haben. Ein Teil von etwas waren. Wie Fußballfans. Tolle Stadien gibt es überall. Aber was ist mit der Stadt, die sie umgibt? Rom, London, Barcelona? Ja, doch: Hamburg spielt in dieser Liga.

So etwas muss man aber fühlen. Diese Senatorin, dieser Senator könnte das. Er würde das Wort Kreativwirtschaft nicht mögen. Und Konferenzen mit einem Joseph Beuys-Zitat beginnen: "Wer nicht mitdenkt, fliegt raus."

Er wäre ein Träumer, weil er sich das nie abgewöhnt hat. Er wüsste, was die Rote Flora für Hamburg bedeutet, und nicht, wie viel sie wert ist. Vielleicht wäre er sogar so verrückt, sich als Kultursenator ein Fußballspiel anzusehen. Bei Altona 93. Ihm ginge das Herz auf im Hafen, weil der einem jeden Tag Geschichten erzählt wie ein Theaterstück. Und weil dieser Hafen sich nur hier so anfühlt und nirgendwo sonst. Weil er die Sehnsucht in sich trägt, wie jeder Hamburger. Nach ein bisschen weiter Welt. In der Kultur. Davon wird man doch mal träumen dürfen.