Hamburg. Auf dem Papier liest es sich wie eine etwas gewagte Transposition, "Carmen" musikalisch vom Guadalquivir an den Rio de la Plata zu verlegen - also den Flamenco, der Georges Bizets Oper so prägend eingeschrieben ist wie ein Wasserzeichen, gegen den Tango aus Buenos Aires zu vertauschen. Genau das jedoch wagt Fabian Dobler, der musikalische Leiter der Hamburger Kammeroper. Und er gewinnt. Dobler hat die Partitur auf die Quintettbesetzung runtergekocht, mit der Astor Piazzolla den Tango erneuerte: Bandoneon, Klavier, Violine, Kontrabass und eine etwas stiefmütterlich eingesetzte Gitarre prägen den Klang der bei der Premiere am Mittwoch mit Begeisterung aufgenommenen Neuinszenierung.

Die beiden ersten Akte sind die dramaturgisch stärkeren. Das aus sechs Akteuren bestehende Personal singt und spielt auf klug reduzierter Bühne (Kathrin Kegler) mit Verve, wobei Michael Müller-Deekens knödelnde Großmanns-Parodie als Don Escamillo hoffentlich als solche gemeint war. Christina Baaders warmem, sicher geführten Mezzosopran vertraut man sich gern an, auch wenn ihre Carmen weder besonderes verführerisch ist noch im Besitz hexenhafter männermordender Zauberkräfte. Überzeugend verkörpert sie das Prinzip unbedingter Freiheit, dessen Widerstreit mit Don Josés Ehrbegriff der Regisseur Jan-Richard Kehl zum zentralen Konflikt der Inszenierung macht. Keith Boldt nimmt mit seinem schönen Tenor sehr für diesen zwischen Männerscheu und Männertreu oszillierenden Charakter ein.

In einer flott eingeschobenen Metaebene ironisiert Kehl die Arbeitsbedingungen freier Gruppen am Beispiel der Sopranistin Joo-Anne Bitter, die als Micaela, Frasquita und Zigeunerin gleich drei Rollen hat. Allerdings macht ihr gewaltig schwirrender Walkürensopran zu viel Druck. Daniel Pohnert hat als Pistazien spuckender, aasiger Leutnant Zuniga mit Pilotensonnenbrille leichtes Spiel, gibt der Figur aber überraschend viele Facetten.