Der vielschichtige Musiker Jan Delay über Klubsterben, Gentrifizierung, Solidarität - und die Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag.

Hamburg. Jan Delay sitzt im Restaurant Peacestanbul im Karoviertel. Der Musiker will nicht über Musik reden und nicht über kommende Alben. Sondern über Kulturpolitik.

Hamburger Abendblatt:

Es gibt von Ihnen den Song "Vergiftet", in dem Sie aufzählen, was Ihnen nicht gefällt. Was ist an Hamburg "vergiftet"?

Jan Delay:

Hamburg wirbt einerseits damit, was für eine kreative Kulturmetropole die Stadt ist und was für tolle Künstler hier leben. Auf der anderen Seite werden Klubs geschlossen, und es wird kein Raum für Kreative geschaffen. Die Kürzungen beim Schauspielhaus und bei den Museen haben das gerade wieder deutlich gezeigt.

Eine generelle Kulturfeindlichkeit?

Delay:

Nein. Aber man sollte die Leute machen lassen, denn die besten Sachen entstehen von selbst. Hier wird oft zu schnell ein Deckel draufgemacht.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Delay:

Guck dir mal die Jungs an, die den Waagenbau an der Sternbrücke betreiben. Die haben gesehen, dass das Haus leer steht und sie haben daraus einen Klub gemacht, der internationale DJs und Künstler nach Hamburg bringt. Die Stadt würde am liebsten alles plattmachen, auch die Astra-Stube und das Fundbüro. Dann hat sie kein Stress mehr mit Anwohnern, und ein weiterer sogenannter Schandfleck ist verschwunden. Solche Klubs müssten unter Denkmalschutz gestellt werden.

Immerhin ist der Mojo Club nicht aus der Klublandschaft verschwunden.

Delay:

Ja, beim Mojo ist es gut gelaufen. Das wird ein richtig krasser Klub mit dem sich öffnenden Bürgersteig als Eingang. Da hat die Politik sich mit eingemischt, weil der Mojo Club in jedem Touristenführer erwähnt wird. So etwas würde ich mir öfter wünschen. Genau wie die Stadt mittelständische Unternehmen fördert, sollte sie auch Kreative fördern und zum Beispiel mehr Atelierräume zur Verfügung stellen. Künstler können ihre Farben nicht in der Küche aufstellen und dort malen.

Es hat doch mit der Sicherung des Gängeviertels ein positives Beispiel gegeben, wie die Stadt Künstler unterstützt und die alten Häuser nicht an Investoren weggegeben hat.

Delay:

Das ist nur passiert, weil der öffentliche Druck so groß geworden ist und die Öffentlichkeit sehr genau drauf sieht, wie die Regierung sich verhält.

Hat sich das Klima zwischen Künstlern und Stadt nach den Auseinandersetzungen vom vergangenen Herbst gebessert?

Delay:

Es ist auf jeden Fall besser als zu der Zeit, als Ronald Schill Innensenator war. Linke Künstler waren ihm ein Dorn im Auge. Gezielt hat die Polizei damals in Klubs Razzien veranstaltet. Die Stadt sollte schön sauber wirken, sodass die Touristen keine Angst vor Freaks, Langhaarigen und bärtigen Menschen haben müssen. Was unter Schill passiert ist, hat mehr Kreativität zerstört als die Abwanderung von Künstlern nach Berlin.

Viele Rockbands haben in den vergangenen Jahren in Berlin statt in Hamburg gespielt, weil hier eine Halle mit einer Kapazität von bis zu 4000 Zuschauern fehlt. Nun gibt es Pläne für eine Music Hall am Neuen Kamp. Doch die Anwohner laufen gegen diese Pläne Sturm. Was halten Sie von einer Halle dort?

Delay:

Ich verstehe nicht, dass es da so viel Gegenwind gibt. Genau so ein Klub fehlt in Hamburg, Stuttgart zum Beispiel hat drei Hallen dieser Größe. Mit den heutigen Möglichkeiten kann man darin einen wirklich geilen Sound hinbekommen. Anders als in der Sporthalle in Alsterdorf. Da geht das nicht.

Die Gegner der St. Pauli Music Hall kritisieren, dass die Kommerzialisierung des Quartiers weitergehen würde.

Delay:

Es geht nicht um Kommerz, sondern um Musik. Es gibt so viele Bands, für die ist die O2 World zu groß und das Docks zu klein. Die bleiben weg. Und die Zuschauer, die dort hingehen, sind nur ein Bruchteil verglichen mit den Dom-Besuchern oder den Tausenden, die am Wochenende durch die Susannenstraße zum Schulterblatt strömen.

Würden Sie dort spielen?

Delay:

Klar. Wenn das Werbung für die Halle wäre, würde ich da 'ne ganze Woche spielen. Für die Beginner wäre so eine Größe perfekt. Auf die Sporthalle habe ich keinen Bock, da trete ich lieber dreimal hintereinander im Docks auf.

Die Bewohner der Schanze beklagen die Gentrifizierung ihres Viertels. Hätte die Stadt das verhindern können?

Delay:

Ich weiß nicht, wer im Einzelnen dafür verantwortlich ist, aber jetzt ist diese Entwicklung kaum noch umkehrbar. Ich habe die Gentrifizierung zwischen 1994 und 2004 hautnah miterlebt, weil unser Label dort seine Büros hatte und es dort Studios gab. Die sind inzwischen alle dort weg, weil die Mieten nicht mehr zu bezahlen waren.

Es gibt Widerstand der Bewohner.

Delay:

Man muss versuchen, die wenigen gallischen Dörfer zu retten. Wenn zum Beispiel eine Boutique aufgibt, sollte man überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, dort eine Fördereinrichtung für benachteiligte Kinder einzurichten statt des nächsten Schlecker-Markts.

Welche Rolle spielt die Rote Flora? Sie haben im Dezember dort ein Solidaritätskonzert gegeben.

Delay:

Die Flora braucht man als Trutzburg. Als einen anderen alternativen und basisdemokratischen Ort. Sollte jemand versuchen, sie zu räumen, ist hier Land unter. Aber ich glaube, dass den Beteiligten diese Gefahr bewusst ist. Deshalb wird es keine Räumung geben.

Am Sonntag wird in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt. Was wünschen Sie sich von einem neuen Senat?

Delay:

Die Rücknahme von Säuberung und Gentrifizierung und die Umsetzung der versprochenen Umweltpolitik.

Und Sie zieht nichts nach Berlin?

Delay:

Das ist gar keine Option. Eher sich anstacheln lassen und noch mehr aus sich herausholen. Die Beatles sind hier groß geworden und nicht in Berlin. Bis auf Peter Fox und die Beatsteaks sind das alles Zugezogene. Hamburg ist die beste Stadt! Berlin hat keine musikalischen Wurzeln. Alles, was da läuft, könnte auch in Dubai passieren.