Der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard bringt Impressionistisches in die Laeiszhalle, mit Werken von Liszt, Messiaen und Ravel.

Laeiszhalle. Es war eine Offenbarung der besonderen Art, Pierre-Laurent Aimard bei seinem letzten Besuch in der Laeiszhalle Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge" spielen zu hören. Ein Minimum an Dynamik und pianistischem Aufwand reichte dem Franzosen, um Bachs Kontrapunktknäuel bis in den letzten Winkel zu durchleuchten und zugleich in dieser so dicht gewobenen Musik eine ungeahnte Poesie zu entdecken. Auf einmal war zu hören, was Robert Schumann gemeint haben muss, als er ausgerechnet den Fugenmeister Bach zum Ahnherren der Romantiker erklärte - und zugleich das "Tiefencombinatorische" und das "Poetische" in dessen Musik gepriesen hatte.

Vielleicht hat man diese Qualitäten in 260 Jahre alten Noten noch nie so klar hören können wie heute. Denn die großen Schlachten in der Musik unserer Zeit scheinen geschlagen und der Rauch hat sich verzogen: Der rabiate Furor, mit dem die ersten Verfechter der historischen Aufführungspraxis den Staub von alten Manuskripten geblasen haben, ist ebenso passé wie die Bilderstürmerei, mit der die Avantgardisten den Marmordenkmälern unserer Musikkultur zu Leibe gerückt waren.

Ein klarer, geschärfter und doch gelassener Blick auf die Musik vieler Epochen ist heute möglich. Und ein Interpret wie Aimard ist voll auf der Höhe unserer Zeit.

Bekannt geworden ist Aimard als Pianist in Pierre Boulez' Ensemble Intercontemporain, als großer Messiaen-Interpret und einer der ersten, der die aberwitzigen Herausforderungen von Ligetis Klavieretüden gemeistert hat. Und es scheint, als hätte der 1957 geborene Pianist aus den Labyrinthen der Moderne neben der technischen Souveränität vor allem einen enorm geschärften Sinn für Zusammenhänge und Strukturen mitgebracht. Komplexität war so lange Aimards täglich Brot, dass ihm manches ehemals Schwere und Verwickelte heute nicht nur mit Leichtigkeit, sondern mit souveräner, leicht unterkühlter Eleganz gelingt.

Dabei war Aimard aber nie der reine Moderne-Spezialist, als der er lange gesehen wurde. Schon seine Anstellung beim Ensemble Intercontemporain war nur eine Drittelstelle - seine übrige Zeit hatte er sich bereits damals fürs traditionelle Repertoire reserviert. Und spätestens seit Aimards Zusammenarbeit mit dem Gottvater der historischen Aufführungspraxis, Nikolaus Harnoncourt, bei Beethovens Klavierkonzerten war klar, dass Aimards Interpreten-Ideal mehr das eines zeitgemäßen, epochenüberspannenden Allrounders ist.

Für seine aktuelle Konzerttournee hat Aimard nun ein Programm zusammengestellt, das auf kunstvolle Weise den Themen Vögel und Natur sowie impressionistischen Stimmungsbildern quer durch zwei Jahrhunderte nachgeht. Und so ganz nebenbei ehrt der Pianist auch noch den großen Klavierkomponisten unter den Jubilaren des Jahres 2011: Franz Liszt. In Aimards Perspektive wird der ungarische Tastenzauberer zum Ahnherren all jener Musik, die den Klang ins Zentrum des musikalischen Interesses rückt: Am Anfang steht hier Liszts "Der heilige Franziskus von Assisi, den Vögeln predigend", gefolgt von "Le traquet stapazin" (Der Mittelmeersteinschmätzer) aus Olivier Messiaens Vogelkatalog.

Ein trauerverhangenes Naturbild wie das Klagelied Nr. 1 "Aux cyprès de la Villa d'Este" aus dem dritten Band von Liszts Wanderjahren führt direkt zu Béla Bartóks vierter "Nänie" (Klagelied) op. 9a. Und die Wasserspiele aus Liszts "Les jeux d'eaux à la Villa d'Este" spiegeln sich in Ravels frühen "Miroirs".

Glaubt man allen Programmankündigungen, so ist ein Werk heute leider nicht mit dabei: Den historischen Endpunkt des beziehungsvoll komponierten Gesamtprogramms bildet nämlich eigentlich das 9-Minuten-Stück "Tangata manu" (Der Vogelmann) des von Aimard besonders geschätzten italienischen Zeitgenossen Marco Stroppa. Im Berliner Konzerthaus war dieser Programmpunkt vor einer Woche selbstverständlich auch zu hören.

In der ambitionierten Musikmetropole Hamburg scheint das 21. Jahrhundert nun wohl auszufallen oder man traut sich zumindest nicht, ein modernes Werk überhaupt anzukündigen. Hummel, Hummel ...

Pierre-Laurent Aimard heute, 19.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), großer Saal, Johannes-Brahms-Platz, Eintritt 20,- bis 60,-