Wolfgang Schömel ist Literaturreferent in der Kulturbehörde, in seinem neuen Roman rechnet er mit der Politik und teuren Großprojekten ab.

Hamburg. Wolfgang Schömel hat gleich gesagt, dass sein neuer Roman kein Schlüsselroman sei. Und trotzdem glotzt die Baustelle der Elbphilharmonie vom Buchumschlag, sie ziert dort eine Zeitungsseite und bebildert den Artikel, der denselben Titel trägt wie Schömels Buch - "Die große Verschwendung". Die Cover-Gestaltung winkt nicht nur mit dem lokalen Bezug, sie behauptet vielleicht sogar einen Insiderreport, vor allem, wenn man weiß, dass Schömel, 58, zum inneren Kreis gehört: Er ist seit zwei Jahrzehnten Literaturreferent in der Kulturbehörde.

Aber eben auch Schriftsteller; als solcher, als Künstler, wird er bisweilen als letzter Mohikaner der Fähigen im Hamburger Tragödienstadl der Kulturpolitik bezeichnet. Und man hört ihn ja auch bisweilen klagen über diese garstige Kultur, die selbst oft, und da spricht der promovierte Germanist am liebsten von der Literatur, Ausschussware produziert, aber vor allem mit den zur Verfügung stehenden Geldern grob fahrlässig umgeht. Schömel ist nicht unbedingt ein Freund des ehrgeizigen und teuren Elbphilharmonie-Projekts.

Sein neuer Roman, der dann auch in Bremen und nicht in Hamburg spielt, ist trotzdem keine Abrechnung mit den Vorgängen in seiner Behörde, sondern ein biestiger Kommentar zu einer Standortpolitik unter Marketing-Gesichtspunkten. Und viel mehr noch eine Midlife-Crisis-Geschichte.

Georg Glabrecht ist Wirtschaftssenator der Freien Hansestadt Bremen. Er ist bei den Grünen und trotzdem überhaupt nicht alternativ, ein schneidiger Karrierepolitiker, hinter dessen Fassade allerdings der Zweifel rumort. Es knirscht im Gebälk eines Lebens, das öde geworden ist, sowohl beruflich als privat: Man hat sich auseinandergelebt in der Ehe und bewohnt ein Haus im bürgerlichen Bremen-Borgfeld mit getrennten Schlafzimmern und einem riesigen, nie ausgehenden Weinvorrat, an dem sich Glabrecht gerne bis zur Volltrunkenheit gütlich tut.

Auch, um seinen Kummer über das aus dem Ruder laufende Großprojekt "Maritime Oper" zu ertränken. Die Bremer wollen, tatsächlich!, ihr Quartier am Fluss mit einem Renommiervorhaben aufmöbeln: eine Oper mit Yacht-Kai, Wellness-Hotel, Meeresaquarium und Casino, die gemeinsam einen ganz wunderbaren "kulturellen Erlebnisraum" ergeben. Apropos und voilà: Wir begeben uns auf die Müllkippe des "denkbar größten Sprachmülls", wie Glabrecht (und mit ihm Schömel) feststellt. Sie sammelt die Begriffserfindungen der Marketingsprache, in der es, so empfindet es Glabrecht, ein Sport ist, Worte zu kreieren. Besonders gut ist ein Wort, wenn es funkelt als "echtes Pionierzeugnis mit null Google -Treffern".

Die neuen Begriffe ergeben eine Art Code, den ein normal denkender Mensch nur mit Widerwillen entschlüsseln will. Deshalb ist es herrlich, wie böse Glabrecht die sprachlichen Absurditäten aufs Korn nimmt mitsamt der Behördensitzungen, in denen das Marketing-Gedöns die Luft verpestet: Gesprochen wird von "emotionalen Leuchttürmen", "Kreativ-Clustern" oder "Kompetenzzentren" - und das alles am liebsten auf Grundlage von sündhaft teuren Gutachten. Die hasst Schömels Protagonist wie die Pest: "Glabrecht hatte eine derartige Ansammlung von hohlem Geschwätz noch nie zuvor in seinem Leben zu Gesicht bekommen."

Dieser Glabrecht kann sich wunderbar aufregen, man möchte nicht wirklich dabei sein, wenn in Powerpointpräsentationen das Image einer Stadt geplant wird. Da muss alles Übertreibung sein: "Und die Maritime Oper strahlte messianisch wie aus sich selbst heraus, ein sensationeller Kulturanblick!" Ein Glück: So visionär waren die Planungen zur sehr realen Hamburger Elphilharmonie nie. Vielleicht lässt aber folgende Aussage in "Die große Verschwendung" Aufschlüsse auf allgemeine Gepflogenheiten im Geflecht von Politik und Wirtschaft zu: "Dass der von den Investoren vorgelegte Kostenplan für die Maritime Oper schöngerechnet war und das Projekt am Ende selbstverständlich viel teurer werden würde, das war jedem Beteiligten aus dem inneren Kreis klar."

Die Absurdität der Standort-Konkurrenz treibt Schömel in seinem Roman schamlos auf die Spitze. Es gibt noch ein zweites Projekt, auf dem das neuerdings ruhmsüchtige Bremen eine goldene Zukunft bauen will: Die kleine Hansestadt will mit ihrer großen Schwester Hamburg die Olympischen Spiele veranstalten. Wer an dieser Stelle vor Lachen vom Stuhl kippt, erinnere sich an die Bewerbung Leipzigs vor einigen Jahren. Allerdings hatten die Sachsen ja auch nicht die schönste Stadt der Welt an ihrer Seite.

Satirisch auf der einen, traurig auf der anderen Seite erscheinen die Beschreibungen aus Glabrechts Behördenalltag. Es geht natürlich um Eitelkeiten und anderes allzu Menschliches/Männliches, und weil die Oper am Wasser so etwas wie ein Liebesobjekt auch für den gelegentlich amts- und lebensmüden Glabrecht ist, ist es für den eher hinderlich, nah am Wasser gebaut zu sein. Glabrecht, der alternde Pragmatiker ohne Idealismus, verliebt sich in Adriana, eine mit dem Projekt befasste, aparte Mitarbeiterin des norwegischen Investors Nordic Urban Development. Was verheißungsvoll anfängt, ein Wiederaufflackern der Lebenslust bewerkstelligt und schließlich in Glabrechts persönlicher Katastrophe mündet, ist das eigentliche Thema von Schömels Roman.

Der schafft es, das Porträt eines Leidensmannes, das Lamento eines Verwundeten psychologisch zwingend abzubilden. Und dürfte nur die ermüden, die keine Veranlassung sehen, etwas über die pessimistische und stellenweise zynische Weltsicht eines Gescheiterten zu lernen, der im Übrigen vor allem darunter leidet, zu wenig Sex zu haben.

Schömel, der Stilist, bleibt der Sprache seiner bisherigen Prosastücke im Übrigen treu. Sie arbeitet natürlich mit ganz anderen Mitteln als das Marketing. Es geht ihr nicht um Täuschungsmanöver und Hohlphrasen, sondern um schmerzend extreme Benennungen von Gefühlszuständen: So ist etwa Sport für den Erzähler Schömel nichts anderes als ein "Protest gegen das Verschwinden von Lebenszeit". Kann man so sehen.

Am Ende wird's alles nichts, es gibt Finanzierungsprobleme bei der Maritimen Oper und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Regierungskoalition aus Grünen und Sozialdemokraten (wie gesagt: kein Schlüsselroman! Bremen ist nicht Hamburg!), der Glabrecht angehört, verliert die Bürgerschaftswahl. Der Arzt diagnostiziert beim völlig zusammenbrechenden Glabrecht ein Broken-Heart-Syndrom . Daran ist aber wohl allein die fiese Adriana schuld. Verschwendete Gefühle sind immer noch förderlicher für den Charakter als verschwendete Etatmillionen.

Wolfgang Schömel: "Die große Verschwendung" , Klett-Cotta. 240 S., 19,95 Euro