Hamburg. Manchmal sind bei der Programmplanung wohl höhere Mächte im Spiel. Hätte es einen passenderen Termin für das lange geplante Sonderkonzert der Philharmoniker mit Beethoven satt geben können als den kurzfristig zum Wahltag gewordenen gestrigen Sonntag? Was für ein kostbares Gut die Freiheit ist, wie sie den Menschen weitet, ihn stärkt und überhaupt erst zum Menschen macht, das erleben wir zurzeit im Großen in der arabischen Welt. Wer wollte, konnte sich vor dem Besuch der Matinee in der heimischen Wahlkabine darauf besinnen, dass auch die vermeintliche Routinehandlung des freien Wählens ein Recht ist, das erst erkämpft werden musste und keineswegs überall auf der Welt gewährt wird.

Wenn der große musikalische Freiheitskämpfer Beethoven so enorm konzentriert, genau und leidenschaftlich gespielt wird wie gestern von den Philharmonikern unter der Leitung des Franzosen Bertrand de Billy, dann entfaltet seine Musik eine solche Kraft, dass man mit Gänsehaut am ganzen Körper dasitzt und sich unwillkürlich nach dem nächstbesten Tyrannen sehnt, ihn mit anderen Mitstreitern niederzurennen. Oder einfach nur bebend das Glück genießt, am Leben zu sein und frei von Fremdherrschaft.

Tobias Moretti sprach seine packende Textfassung von Goethes "Egmont", wobei er bisweilen die einsamen und etwas beunruhigenden darstellerischen Intensitätshöhen eines Klaus Kinski streifte. Katerina Tretyakova sang die beiden Klärchen-Lieder. Die Sensation aber war das Orchester, das unter diesem Dirigenten wie ausgewechselt klang: hellwach, diszipliniert noch im wilden Sturm. Und ihr Solo im zweiten Satz der 5. Sinfonie zeichneten die Holzbläser so traumschön, dass Beethoven kurz aufschien wie der große Bruder von Debussy.