Strafverteidiger und Autor Ferdinand von Schirach liest im Thalia aus dem wahren Leben

Thalia-Theater. Schuld ist ein elementarer Begriff unseres Lebens. Wir sprechen ihn im Gebet, wir benutzen ihn, wenn es um die kleinen Verfehlungen des Alltags geht, vor Gericht ist die Frage nach der Schuld die zentrale. Wahrscheinlich sprechen wir "Schuld" öfter aus als "Liebe". Schuld beinhaltet Abgründe und Verbrechen, sie führt in die Welt des Bösen.

"Schuld" hat der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach kurz und prägnant sein zweites Buch genannt. Nachdem der in München geborene und seit vielen Jahren in Berlin lebende Jurist bereits 2009 mit seinem Erzählungsband "Verbrechen" großen Erfolg gehabt hatte, wurde im vergangenen Jahr auch sein zweites Buch zum Bestseller und der Strafverteidiger zum gefeierten Literaten.

Manchmal bleibt Schuld ohne Sühne, dann fühlt sich der Verteidiger schlecht

"Schuld" ist ein Titel, der Neugierde weckt und im Falle Schirachs genau den Punkt trifft: In jeder der 15 Geschichten geht es um Schuld in ihrer ganz unterschiedlichen Bedeutung.

Der Erfolg von Schirach hängt sowohl mit dem Sujet als auch mit seiner schnörkellosen Sprache zusammen. Die Sätze sind kurz, die Beschreibungen der Szenerie und der Figuren prägnant. Diese Klarheit hat eine fast visuelle Komponente, jede Story läuft ab wie ein stringent inszenierter Kriminalfilm. Thriller boomen weiterhin, und da sich "Schuld" mit realen Fällen befasst, hat das sicher den Absatz des 200 Seiten starken Buches noch gesteigert.

Viele der Geschichten lassen den Leser angesichts der Brutalität der Täter erschaudern. In "Volksfest" wird eine junge Abiturientin von einer Gruppe von Dorfbewohnern brutal vergewaltigt und schwer verletzt. Sie überlebt die Untat, doch Genugtuung erfährt sie nicht. Alle Männer waren kostümiert und maskiert, DNA-Analysen gab es noch nicht, Beweismittel wurden zerstört, sodass auch später keine Anklage erhoben werden konnte. Ein Gericht konnte hier keine Schuld sühnen, die Verteidigung hatte einen Sieg errungen, weil die Beteiligung jedes Einzelnen nicht nachgewiesen werden konnte.

Der als Verteidiger beteiligte Autor fühlt sich nach der Haftentlassung der Täter schlecht. "Wir wussten, dass wir unsere Unschuld verloren hatten", schreibt von Schirach.

Die umwerfende Komik manches Falles verlangt nach einer Verfilmung

Er erzählt von anderen Fällen, in denen er psychisch gestörten und schuldverminderten Tätern helfen konnte, wie einer Kleptomanin oder einer des Mordes angeklagten Ehefrau, die ein jahrelanges Martyrium zu erdulden hatte und ihren schlafenden Mann erschlug. Er beschreibt das Leben Unschuldiger, die in die Mühlen der Justiz geraten sind wie in einem Kafka-Roman, er schildert die Unausweichlichkeit, die zu einem Verbrechen führt.

Und manchmal sind seine Fälle so kurios wie "Der Schlüssel". Die Geschichte dreht sich um zwei Drogendealer, einen nagelneuen Lamborghini und eine gefräßige Dogge, die den Schlüssel eines Schließfachs verschlungen hat.

Der Versuch des einen Gangsters, wieder in den Besitz des Schlüssels zu kommen, ist von so umwerfender Komik, dass sie geradezu nach einer Verfilmung schreit. Aber die Geschichte von dem tumben Atris, der Dogge Buddy und einem sichtlich überforderten Tierarzt dürfte auch bei der Lesung Ferdinand von Schirachs im Thalia-Theater zu den Höhepunkten zählen. Vielleicht liest der 46 Jahre alte Autor ja auch eine neue Geschichte, denn er arbeitet bereits an seinem nächsten Buch; Mandate übernimmt er nur noch eine Handvoll pro Jahr.

In mehr als 800 Verfahren hat Ferdinand von Schirach die schwarze Robe übergestreift und Menschen vor Gericht verteidigt. Immer ging es da um Schuld, nie um Moral. "Moral ist keine Kategorie für den Strafprozess", sagt der Jurist. Aber Moral verwandelt jede seiner wahren Erzählungen in große Literatur.

Ferdinand von Schirach liest aus "Schuld", So 20.2., 11.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor 1, Karten zu 18,- (ermäßigt 8,-) unter T. 32 81 44 44 und an der Tageskasse; Infos im Internet: www.thalia-theater.de , www.schirach.de