Mit Kimmo Pohjonens Accordion Wrestling zeigt sich das finnische Festival “Rantakala“ von seiner sportlichen Seite

Kampnagel. Bei zwei so fundamentalen Bereichen des menschlichen Lebens wie Sport und Musik liegt es auf der Hand, dass auch das Verhältnis zwischen den beiden eine Fülle von Varianten kennt. Tanz und Ballett bilden die ideale Symbiose: Als die zur Kunst erhobenen Formen der Körperakrobatik brauchen sie die Musik, wohingegen etwa beim Schach, dem Denksport schlechthin, bereits das leiseste Summen eines russischen Volkslieds als gezielte Mürbemachung des Gegners gilt.

Fußballspiele werden mit Schlachtgesängen aus den Fankurven befeuert, wobei die Begleitung sich meist auf archaische Perkussion und Trötengeheul beschränkt. Beim Einzug in die Boxarena erklingen heroische Hymnen, ehe die beiden Gladiatoren in den Ring steigen. Doch während des Kampfs schweigt die Musik respektvoll. Keine Fanfaren, keine Gesänge sollen das Ohr der Zuschauer vom satten Schmatzen placierter Treffer ablenken.

Im finnischen Ringkampf nun, einer präolympischen Wirtshausdisziplin aus dem Norden des Landes, wird auch während des kraftmeierischen Geschiebes musiziert, was das Zeug hält. Und zwar vorzugsweise auf dem Akkordeon. Kimmo Pohjonen, der im vergangenen Jahr auf dem Festival "Akkordeonist!" der Elbphilharmonie durch seine spektakuläre Performance den Leuten wohlige Schauer über den Rücken jagte, wird heute auf Kampnagel im Rahmen des Finnen-Festivals "Rantakala" eine kulturgeschichtliche Bildungslücke bei uns schließen, indem er die Kämpfe von acht leibhaftigen finnischen Ringern musikalisch begleitet.

Jimi Tenor, Kurator des Festivals und bekannt auch für seine Slow-motion-Sarkasmen, kolportiert eine etwas abgründige, jedoch überraschend plausible Theorie zur Genesis des Akkordeonspiels während des finnischen Ringkampfs: Es habe sich eingebürgert und gehalten, weil es die Furzgeräusche der Kraftsportler übertöne. Die seien im pietistisch geprägten Norden seines Landes wohl für unstatthaft gehalten worden, wohingegen die rituelle Körperverletzung beim Ringen religionsethisch offenbar keinen Anlass zur Beanstandung gab. Musik also, um den Darmklang zu übertönen? Es gibt schmeichelhaftere Daseinsbegründungen für die Kunst der Klänge.

Abseits der akustischen Kosmetik: Welche dramaturgischen Spannungsbögen mögen sich wohl zwischen Ringern und obligatem Akkordeon entwickeln? Das zu ergründen bleibt den Augen- und Ohrenzeugen der heutigen Performance vorbehalten. Denkbar wäre etwa, dass Pohjonen in der Rolle des zum Einzelwesen gewordenen Chors der griechischen Tragödie agiert, den Kampfverlauf musikalisch paraphrasiert, ihn durch heftiges Auf und Zu des Blasebalgs dramatisch zuspitzt, vorwegnimmt oder befeuert, oder auch, dass er die womöglich schwindenden Kräfte der Kämpfer je nach Laune noch mal aufbaut oder lautmalerisch in einem Moriendo verklingen lässt, wie es schöner ein Instrument ja kaum kann als das Akkordeon, das von Atemluft bewegt wird wie der Mensch, ob er nun kämpft oder nicht.

Vielleicht ist es aber auch ganz anders, und Pohjonen gibt mit seinem Balg nicht nur den Instrumental-Chronisten der Balgerei, sondern betritt die Niederungen menschlichen Kampfs mit der engelhaften Majestät, von der unser Foto eine Ahnung gibt. Da schreitet der Akkordeonist übers Feld der Ehre wie ein schnittiger Schnitter.

Accordion Wrestling heute, 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20, Tickets zu 22,- (erm. 14,-) unter T. 35 76 66 66