Die Jazzsängerin präsentiert mit “Nur fort“ ein schön fragiles Album. Ihre Songs erzählen von Zwischenzuständen. Bald gastiert sie auf Kampnagel.

Wenn eine Künstlerin ihr Werk "Nur fort" nennt, klingt das nach hastigem Aufbruch. Schnell ein paar Sachen zusammengerafft, in einen handlichen Koffer geworfen und nichts wie weg. Bei Lisa Bassenge ist dieser Aufbruch Idee und nicht Aktion. "Ich habe immer wieder gedacht, dass ich Berlin mal verlassen muss", sagt sie, "aber ich habe es nicht geschafft." Geschafft hat sie es immerhin vom bürgerlichen Zehlendorf im Süden Berlins ins pulsierende Zentrum der Stadt. In Kreuzberg hat die 36 Jahre alte Sängerin ihr halbes Leben verbracht, doch sie träumt schon wieder öfter davon, wieder rauszuziehen, ins Grüne, an den Rand der Großstadt. Wenn sie auf "Nur fort" Hildegard Knefs Heimwehlied "In dieser Stadt" singt, geht sie diesem Gefühl nach.

"Nur fort" ist das fünfte Album der umtriebigen Künstlerin, die auch der Electro-Club-Band Micatone vorsteht und ein Chanson-Projekt namens Nylon verfolgt. Mit ihrer Band hat sie Alben mit Jazz-Standards oder verjazzten englischen Popsongs aufgenommen, die "A Sigh A Song" oder "A Little Loving" heißen. Zum ersten Mal singt sie nun auf Deutsch, fünf Songs hat sie selbst geschrieben, sechs sind Coverversionen, "Lieder, die mich schon sehr lange begleitet haben", wie sie sagt. Auf ihrer MySpace-Seite nennt Bassenge sich "the jazz voice of Berlin" - "mit Jazz hat die neue Platte kaum noch etwas zu tun", gibt sie zu. Es fehlen die Improvisationen, doch auch auf diesem Lieder/Chanson-Album kann die Sängerin ihre musikalische Herkunft nicht verleugnen. Denn die Band um ihren langjährigen musikalischen Partner, den Bassisten Paul Kleber, ist eine Jazzband, das typische Flair ist in jedem der Songs zu spüren.

Die Musik ist leicht, die großen Luftballons auf dem Cover von "Nur fort" sind ein Sinnbild für die Songs. Sie tragen den Hörer hinfort wie frei herumschwirrende Gedanken. Die Arrangements sind durchsichtig, präzise und immer genau auf den samtenen Gesang von Lisa Bassenge abgestimmt. "Paul und ich arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen, da müssen wir hin und wieder etwas Neues ausprobieren, um Abnutzungserscheinungen zu vermeiden. Deshalb haben wir jetzt ein Album fast nur mit deutschen Liedern aufgenommen", sagt sie.

Mit "Seit der Himmel" wagt Bassenge sich an einen Song von Element Of Crime mit der poetischen Zeile "Bei mir geht überhaupt nichts mehr / weil sich alles um dich dreht / seit der Himmel jeden Morgen / Deine Augenfarbe trägt". Mit "Nur fort" hat Lisa Bassenge sich zum weiblichen Pendant von Sven Regener entwickelt, jedoch ohne dessen nuscheligen Ton. Ihre eigenen und die von ihr ausgewählten Songs beschreiben wie beim Element-Of-Crime-Sänger Zwischenzustände, Uneindeutiges. In "Über Eis" zum Beispiel besingt sie ein unsicheres Gefühl bei einem Spaziergang. " Ich weiß nicht, bleibe ich hier mit Dir / Oder soll'n wir nach Hause gehen? / Ich weiß nicht, gehörst Du zu mir / Oder einfach nur hier zum See?", fragt sie. Ist er der Richtige? Soll ich ihn näher an mich heranlassen oder Ade sagen? Situationen, die jeder so ähnlich erlebt hat, Fragen, die sich jeder schon gestellt hat und die Lisa Bassenge unprätentiös auf den Punkt bringt.

"Girl In The Mirror", das einzige englische Lied auf "Nur fort", klingt durch die Pedal-Steel-Gitarre der Nashville-Legende Paul Niehaus wie purer Country, der Titelsong erinnert durch Martin Wenks ergreifende Trompete an die US-Band Calexico, mit der Wenk seit einigen Jahren spielt. Aus Joachim Witts NDW-Song "Kosmetik" macht Lisa Bassenge ein tolles Chanson mit einem vertrackten Rhythmus, Lindenbergs Lied "Leider nur ein Vakuum" entschleunigt sie und gibt ihr mit ihrem einzigartigen Timbre neuen Charme.

Die Stimmung der Songs ist melancholisch, aber nicht schwermütig, die Arrangements sind elegant. "Ich bin eigentlich auch ganz lustig", sagt die dunkelhaarige Sängerin und lacht. "Dies ist für mich die fröhlichste Platte, die ich je gemacht habe. Aber es stimmt, ich lebe in der Musik meine melancholische Seite aus." Das Leben als Jazzsängerin ist oft kein Zuckerschlecken. "Ich bin oft am Limit mit der Kohle und muss nebenher unterrichten. Das ist oft ein ganz schöner Kampf", sagt sie. Auch ihre Arbeitszeit ist meistens auf die Stunden zwischen 10 und 15 Uhr limitiert, weil ihre Töchter Lilia und Zoe dann in der Schule und im Kindergarten sind: "Als alleinerziehende Mutter muss ich meinen Tag sehr genau strukturieren."

Im Februar darf Lisa Bassenge endlich fort. Dann ist sie zusammen mit ihrer Band und der des französischen Pianisten Jacky Terrasson für die Reihe "Jazz Today" auf Tournee. Zwar nur für zweieinhalb Wochen, aber immerhin. "Ich freue mich total, dass ich rauskomme", sagt sie, "aber ich habe auch immer ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kindern, wenn ich weg bin." Lilia und Zoe sind während der Tour beim Vater und werden von einem Babysitter betreut. Trotz der künstlerischen Herausforderung und der Notwendigkeit, mit Konzerten Geld zu verdienen, fällt es Lisa Bassenge schwer, ihre Mutterrolle hinter sich zu lassen: "Ich habe immer das Gefühl, dass es ohne mich nicht läuft." Aus Berlin raus - das wird wohl noch dauern.

Lisa Bassenge: "Nur fort" (Minor Music)

Doppelkonzert: Lisa Bassenge Quintett, Jacky Terrasson Trio Sa 26.2., 20 Uhr, Kampnagel