Wer wohnt im deutschen Reihenhaus? Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Völkerkunde räumt mit den gängigen Klischees auf

Hamburg. Reihenhäuser halten viele für den Inbegriff kleinbürgerlicher Spießigkeit. Wer hier wohnt, ist engstirnig, kulturlos und legt kaum Wert auf Individualität. So lautet zumindest das gängige Vorurteil.

Die Ausstellung "In deutschen Reihenhäusern - Familienleben in der Stadt", die am Sonntag im Museum für Völkerkunde eröffnet wird, zeichnet ein differenzierteres Bild und räumt dabei gründlich mit Klischees und Stereotypen auf. Obwohl sich die Grundrisse der meisten Reihenhäuser ähneln, lassen sie eine enorme Vielfalt von Wohnentwürfen zu, die die Individualität der jeweiligen Bewohner widerspiegelt. Das belegen die Bilder, die der Porträtfotograf Albrecht Fuchs aufgenommen hat, als er in süd- und mitteldeutschen Städten bei insgesamt 50 Reihenhausfamilien zu Gast war. Hinzu kommen einige Bilder des Berliner Fotografen Marc Räder, der die Uniformität der Siedlungen mit einer Künstlichkeit zum Ausdruck bringt, die an Fotos von Modellbahnanlagen erinnern.

Aber warum wird das Reihenhaus mit so viel Spott und Skepsis betrachtet? Nach Meinung des Berliner Soziologen Helmut Häusermann ist das ein typisch deutsches Phänomen. In einem Essay im Begleitbuch der Ausstellung schreibt er: "In England und in den Niederlanden ist das Reihenhaus selbstverständlich und erste Wahl für diejenigen, die die Annehmlichkeiten eines eigenen Hauses mit den Vorteilen eines städtischen oder wenigstens stadtnahen Standortes kombinieren wollen." Da das Reihenhaus weniger Baufläche als das frei stehende Einzelhaus beansprucht, ist es an Standorten, wo mit Grund und Boden sparsam umgegangen werden muss, "die Normalform des Kleinhauses - die Alternative zum großen Mietshaus".

Die belächelten Einzelhausbewohner sind also keine kuriose Minderheit, sondern repräsentieren vielmehr die Mitte der Gesellschaft. Die Fotografien von Albrecht Fuchs bestätigen das. Er hat Bankfachleute und Lebensmittelverkäufer, Beamte und Unternehmer, Schichtarbeiter und Tagesmütter, Informatiker und Fliesenleger und mit dem Leichtathleten Wojtek Czyz sogar einen mehrfachen Goldmedaillengewinner als Reihenhausbesitzer fotografiert. Mit dem gebotenen Respekt gab er ihnen die Möglichkeit, sich und ihre Wohnumwelt so zu präsentieren, wie sie das für angemessen hielten. "Mir ist allerdings aufgefallen, dass es immer sehr aufgeräumt war. Es gab auch keine exzentrischen Einrichtungen." Auf die Frage, wer typischerweise in einem Reihenhaus wohnt, konnte und wollte Fuchs keine Antwort geben.

Und doch stechen dem Ausstellungsbesucher ein paar Auffälligkeiten ins Auge: So gibt es unter den Porträtierten zum Beispiel keine Singles und auch keine gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, sondern vor allem Familien, die manchmal sogar drei Generationen umfassen. "Ein erstaunlich großer Anteil der Reihenhausbewohner hat Migrationshintergrund", sagt Museumsdirektor Wulf Köpke, der immer wieder beantworten muss, was eine Ausstellung zu deutschen Befindlichkeiten in seinem Völkerkundemuseum zu suchen hat.

"Zum einen bildet die Schau den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Ausstellungen, die sich zum Beispiel mit der Nomaden-Ausstellung im Herbst verschiedenen Wohn- und Lebensformen widmet, da fördert die Einbeziehung der eigenen Kultur die Selbstreflexion und ermöglicht eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe", sagt Köpke. Andererseits habe sein Haus als einziges Museum dieser Art eine eigene Europa-Abteilung. "Außerdem wollen wir mit der Ausstellung die Debatte über Familienleben in der Stadt anstoßen, was ich für ein hochpolitisches Thema halte."

Doch gerade hier wirft die Ausstellung Fragen auf, die die dort gezeigten Fotos nicht beantworten können: Zwar werden Reihenhäuser im Zuge der Verdichtung von Siedlungsräumen auch innerhalb der Städte gebaut, in weit stärkerem Maße entstehen sie jedoch - schon aufgrund der vielfach nur dort erschwinglichen Bodenpreise - in den Vorstädten und im Speckgürtel der Metropolen. Und dort geht es eben nicht, wie der Ausstellungstitel nahelegt, um Familienleben in, sondern eben vor der Stadt. Das führt zu einem enormen Flächenverbrauch und zur Zersiedlung von Landschaften und zwingt die Reihenhausbewohner dazu, als Pendler mit stundenlangen Fahrzeiten einen hohen Preis für das Wohnen im Grünen zu bezahlen.

In deutschen Reihenhäusern - Familienleben in der Stadt , Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, (U Hallerstraße) 13. Februar bis 30. April, Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00 geöffnet. Zur Ausstellungseröffnung gibt es am Sonntag von 11.00-17.00 ein umfangreiches Programm für Erwachsene und Kinder