Tina Uebel rechnet in ihrem verstörenden Roman “Last Exit Volksdorf“ mit dem Spießeridyll ab. Gegen das Buch geht indessen ein Anwalt vor.

Hamburg. Der letzte Ausgang, den man nehmen sollte: Das kann kein guter sein, und manchmal führt er direkt in die Hölle. In Tina Uebels Fall ist Volksdorf die Hölle, ein furchtbarer Ort, in dem die Menschen zuschanden gehen an den Lebensumständen, weil der Schein mehr zählt als das Sein. Eine alte Geschichte, übertragbar auf viele Siedlungen; nun ist es aber so, dass Uebel, die Schriftstellerin aus St. Pauli, in Volksdorf aufgewachsen ist. Weshalb sie sich durchaus bemüßigt fühlt, ihrem Roman "Last Exit Volksdorf" eine Notiz voranzustellen: "Alles erfunden. Fiktive Personen an einem irrealen Ort, Volksdorf genannt, warum nicht." Genützt hat es nichts, seit gestern unterhalten sich die Anwälte über ihr neues Buch (siehe nebenstehender Text).

Denn auch wenn ihr verstörender Roman, den man als Abrechnung mit einem Lebensentwurf lesen kann, vielleicht sogar unweigerlich liest, die Unerträglichkeit satter Bürgerlichkeit zu grell ausstellt - die Gefahr, dass sich jemand in dem Figurenensemble wiedererkennt, besteht immer.

"Last Exit Volksdorf" ist ein bitterböses Buch, das es nicht darauf anlegen will, fein verästelte Brüche in den Lebensentwürfen zu beschreiben, Figuren in emotionale Dilemmata - mit gutem Ausgang - zu verwickeln oder über den Geschehnissen einen Hoffnungsstreif am Horizont zu ziehen.

Nein: Am Ende des 300 Seiten langen Romans, der gleichzeitig zeitlupenhaft genau sein will und trotzdem erzähltechnische Lücken lässt, ist eine Figur den Drogentod gestorben, eine in der Klapse und eine willens, sich mit HIV zu infizieren. Eine vollendet ihre Suche nach dem Ort, an dem alles am rechten Platz ist, vereinsamt am Esstisch, eine andere gibt der Geilheit auf minderjährige Frauen wieder ein Stück mehr nach. Und eine gleitet weiter ab in eine rauschhafte Welt, in der sie sich wehrlos den schmutzigen Fantasien der Männer überlässt. Das alles hinter einer Fassade der Wohlanständigkeit, die sich freilich ohnehin nur vor den blasierten Erwachsenen erhebt.

Verlag stoppt die Auslieferung

Die Jugend in Volksdorf ist kaputt, lebensuntauglich und vollkommen unlustig, die Anforderungen der Elternhäuser ernst zu nehmen. Es gibt nur einen Ort, den sie gerne aufsucht: das "Momo"; und dort findet sie aber eigentlich nichts anderes als ein weiteres Übungsgelände, auf dem sie sich volldröhnen kann und die Spielarten menschlicher Grausamkeiten erproben darf. Davon handelt Uebels Episodenroman: Was passiert, wenn sich die Kinder von ihren Eltern abwenden, aber nichts anderes finden als den nächsten Rausch.

Die Jugend in "Last Exit Volksdorf" ist verroht, in einer Szene füllen drei kaum 15-Jährige ihre Mitschülerin ab und vergewaltigen sie mit einem Hammer. Die Bilder von ihrer Heldentat mailen sie übers Internet den Mitschülern. Es macht keinen Spaß, dieses Buch zu lesen, das soll es auch nicht.

Jeder ist einsam, manche merken es. Kommunikation gelingt nie. Manche Passagen sind stilistisch grob, andere gelungen, drängend und suggestiv. "Hey, this is Volksdorf, das Angebot ist beschränkt", heißt es an einer Stelle. Leider beschränkt sich Uebel auch in der Zusammenstellung ihres Figurenensembles: Die Frauen sind fast alle hysterisch und flatterhaft, die Männer durch die Bank selbstgerecht und in ihr Leben verliebt. In die geballte Ladung Unglück, das Tina Uebel wie ein Unwetter auf das, wir wollen fast sagen: unschuldige Vorörtchen jagt, mischt sich das Gift des Klischees. Das Mittel der Übertreibung erfüllt nicht immer seinen Zweck.

Erzählt wird das ganze Drama im Präsens: Volksdorf ist immer und überall, genau jetzt.

Tina Uebel: "Last Exit Volksdorf" . C.H. Beck. 300 S., 19,95 Euro