Jeff Bridges spielt in dem Neo-Western “True Grit“ mal wieder den versoffenen Anti-Helden - herzlich willkommen auf der Berlinale!

Berlin. Diese Männer werden in ihrer letzten Stunde wahrlich nicht alleine gelassen. Ganz Fort Smith hat sich zur Hinrichtung der drei Galgenvögel eingefunden. Die haben das letzte Wort. "Ich hab den Falschen umgebracht", ruft der erste verzweifelt, "deshalb bin ich hier!" Der zweite würde gern "was singen", aber das will der Henker nicht. Also gibt's einen schwarzen Sack über den Kopf, und abwärts geht's ...

Die Handschrift ist unverkennbar. Die Coen-Brüder haben diese brutal-komische Szene so ziemlich an den Anfang ihres Films gestellt und damit den Ton für ihren Neo-Western "True Grit" vorgegeben. Auf ihr Mitgefühl mit den Protagonisten sollte man deshalb nicht hoffen. Im Laufe der Geschichte kann man noch erleben, wie einem Mann die Finger abgehackt werden, und überhaupt sterben die Leute wie die Fliegen. Überraschend ist das nicht. Kühl inszenierte Gewalt ist immer ein wichtiger Teil der Versuchsanordnungen von Joel und Ethan Coen gewesen. Man muss sich nur an den blutigen Provinzkrimi "Fargo" erinnern oder, zuletzt, an den Thriller "No Country for Old Men". Als Filmemacher finde er Gewalt eben interessant, hat Ethan Coen gestern auf der Pressekonferenz gesagt, und hinzugefügt, man solle das bloß nicht überbewerten. "In meinem Charakter liegt das nicht."

Tatsächlich sind Joel und Ethan Coen so etwas wie die unbekannten Wesen der internationalen Kinoszene. "Berührend" hätten sie den Roman von Charles Portis gefunden, haben sie gesagt. Das sei das Motiv gewesen, den Roman 40 Jahre nach Henry Hathaway noch einmal zu verfilmen. Andererseits definieren die Coens ihre Absichten so: "Die Leute sollen aus unseren Filmen gehen und sagen: 'Seht, wie schrecklich die Menschen sind, aber ist das Leben nicht wunderbar?'"

Jeff Bridges ist gestern nur eingefallen, die Coens als Genies zu bezeichnen. Die beiden Männer aus Minnesota sind für den 61-Jährigen diejenigen, die vor 13 Jahren "The Big Lebowski" mit ihm machten. Eine krud-groteske Verwechslungsgeschichte, die an den Kinokassen floppte und erst im Lauf der Jahre zum Kultfilm avancierte, nach dem man in Europa Bars und Kneipen benannte.

"The Big Lebowski" hat auch Bridges zu einer Kultfigur gemacht. Zum "Dude". Kein Wunder, dass Bridges, der Remakes im Prinzip für überflüssig hält, nicht Nein sagen mochte, als ihm die Coens vorschlugen, die Rolle zu spielen, für die John Wayne 1969 seinen ersten und einzigen Oscar erhielt. Apropos John Wayne. Auf die Frage nach der Bedeutung des "Duke" gab es von den Coens gestern nur ein Schulterzucken. Sie behaupteten, sich den alten Hathaway-Film während der Vorbereitung auf das Remake nicht mal angesehen zu haben. O-Ton Joel Coen: "Mein Sohn ist 16, und ich glaube, der hat keine Ahnung, wer John Wayne war!"

+++ Das Dossier zur Berlinale: +++

Filme, Stars und roter Teppich - Die Berlinale 2011

Diese flapsige Bemerkung ging Jeff Bridges dann allerdings doch über die Hutschnur, und er verneigte sich mit der Bemerkung vor dem "Duke", den habe er geliebt. Das sei einer gewesen, der in seinen Filmen über die reine Schauspielerei weit hinausgegangen sei. Bridges fügte hinzu, er habe sich das Original vor allem deshalb nicht noch einmal angesehen, weil er der Gefahr entgehen wollte, John Wayne zu kopieren. "Ich wollte nicht einmal über seine Art, zu spielen, nachdenken."

Und so macht Bridges einfach sein Ding. Zu Recht hat man ihn für die Rolle des versoffenen Marschalls ("Whisky brauch ich nicht zu kaufen - den konfiszier ich!") für den Oscar nominiert. Selten hat man im Kino einen abgewrackteren Helden gesehen. Beziehungsweise Anti-Helden. Denn dem alten Rooster Cogburn gelingt es zwar, den Mann aufzustöbern, der den Vater von Mattie Ross (ebenfalls für einen Oscar nominiert: die erst 14-jährige Hailee Steinfeld) kaltblütig erschossen hat, doch ein Happy End stellt man sich anders vor.

Aber was soll's, bei den Coens gibt es eben keine "Sentimentalitäten".

Trotzdem stürmen die Amerikaner für diesen Film seit Wochen ihre Kinos, und gestern fiel "True Grit" die Ehre zu - wenn auch außer Konkurrenz -, die 61. Berliner Filmfestspiele zu eröffnen. Zur Freude der Berliner, die vor der Premiere den roten Teppich am Potsdamer Platz säumten, und zum großen Vergnügen des Premierenpublikums, das den Film, die Coens, Jeff Bridges und Hailee Steinfeld begeistert bejubelte.

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