Verfolgen sie die Lesung des Hamburger Autors aus seiner melancholischen Sozialsatire “Tag der geschlossenen Tür“ auf abendblatt.de.

Schauspielhaus. Kennen Sie Dr. Baby Rabottnik Sazauer? Kopfschuss-Troche? Oder Birne Bommelmansk? Sie alle sind Erfindungen von Michael Sonntag, der das Talent besitzt, Namen zu erschaffen, "die nie jemand tragen wird". Einen "sprudelnden Quell der Nutzlosigkeit" nennt er sich selbst. Nach eigener Rechnung befindet er sich in der "Bonuszeit des Lebens", sprich: Nach dem 35. Geburtstag ist der juvenile Glanz verloren und macht Platz für eine Diktatur der Trägheit, die Sonntag mit allerlei Absurdität sowohl protegiert als auch bekämpft.

Sonntag ist ein Zeittotschläger. Eine Nonsens-Maschine. Einer, der sich mit einer Secondhand-Uniform als Museumswärter in der Kunsthalle versucht - und dafür Eintritt zahlt. Ein Bummelant, der von einem kleinen Erbe auf St. Pauli lebt, weshalb er ausreichend Muße hat, detailliert über die Produktion von Margarine nachzudenken oder mit einer toten Fruchtfliege zu diskutieren. Michael Sonntag ist einer, der im Wartezimmer Krankheiten aufliest, um nicht aktiv teilnehmen zu müssen an diesem ganzen Leben. Er ist "ein Meister im Erfinden von Ausreden für den ewigen Stillstand".

Erdacht hat diese Figur der Hamburger Autor, Regisseur und Subkultur-Hansdampf Rocko Schamoni, der in seiner Geburtsstadt Lütjenburg einst Tobias Albrecht hieß, sich aber bereits als Jugendlicher von seinem bürgerlichen Namen löste. Bevor Schamoni im Jahr 2000 als Schriftsteller debütierte, konterkarierte er sein Genre, den Punk, mit skurrilen Schlagern und nannte sich unter anderem IBM Citystar, Bims Brohm und Silvio Strecker.

Würde Schamoni all seine Synonyme zu einer Party einladen, käme mächtig Stimmung auf. Die Vermutung liegt daher nahe, dass er auch mit Michael Sonntag eine Facette seiner selbst ausgelagert hat. Zumal der Verfasser direkt persönlich als Coverboy fungiert. Sowohl auf dem Roman "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" von 2007, in dem der Dauerkunststudent Sonntag noch im destruktiven Sturm und Drang zu erleben ist, als auch auf dem jetzt erschienenen Nachfolger "Tag der geschlossenen Tür" sehen wir Rocko Schamoni in cooler Pose.

Aus seinem aktuellen vierten Buch liest der 44-Jährige heute Abend im Deutschen Schauspielhaus, wo derzeit auch erfolgreich sein Studio-Braun-Stück "Rust" läuft. Und es ist bestens vorstellbar, wie das Publikum vor Lachen weinen wird über den lakonischen Sarkasmus und all die grotesken Episoden. Etwa über die Idee Sonntags, sich Säckchen mit Kies unter die Hausschuhe zu binden, da er das Geräusch beim Laufen so beruhigend findet. Und auch die Häme, die er als Kolumnist für ein Stadtmagazin über das gentrifizierte, eventgeschwängerte Hamburg auskübelt, dürfte ankommen. Zum Beispiel das Stück über das Anlanden eines neuen Kreuzfahrtschiffs, das Flakgeschütze als Freizeitspaß installiert hat. So böse schreibt, wer seine eigene Stadt nicht mehr erkennt, sondern sie von Motorradgottesdiensten und Schlagermoves überrollt sieht.

Letztlich ist Sonntag ein Misanthrop, der doch nicht von den Menschen lassen kann. Der das Treiben der "Normalen" bestaunt und verachtet, aber auch damit hadert, nicht dazuzugehören. Er verknallt sich in eine Handyverkäuferin, traut sich aber nicht über das Kundengespräch und einen anonymen Brief hinaus. "Die Schraube mit dem Selbstwert ist falsch justiert."

So unverbindlich wie die Beziehungen in Sonntags Leben reihen sich auch die Kapitel des Romans aneinander. Geriet Schamoni in den "Sternstunden" noch mehr ins Erzählen über Sonntags exzessive, ratlose Existenz, schaut der Leser diesem Melancholiker nun immer öfter beim Beobachten, Grübeln und auch beim psychedelischen Träumen zu. Zwar transportiert der anekdotische, dahindriftende Stil an sich bereits viel Haltlosigkeit. Aber so mäandert eben auch der Leser mitunter seltsam spannungslos umher. Man muss schon ein wenig zum Co-Phlegmatiker werden, wenn man ihn begleiten möchte, diesen Hamburger Oblomow.

Eine Hoffnung scheint der Weg zu bieten, den Schamoni selbst gewählt hat: das Schreiben. Und wenn Sonntag als Hobby skurrile Romanexposés schreibt und schließlich von dem Verlag angenommen wird, in dem auch sein Schöpfer veröffentlicht, stellt sich wie so häufig die Frage: Was ist Dichtung und was Wahrheit? Vielleicht weiß Dr. Baby Rabottnik Sazauer Rat.

Rocko Schamoni liest aus "Tag der geschlossenen Tür" (Piper-Verlag, 261 S., 16,95): heute, 20.30 Uhr, Schauspielhaus (S/U Hbf.), Kirchenallee 39

Hier können Sie die Lesung von Rocko Schamoni im Livestream verfolgen!