Hamburg. Um jenen leichten Schwebezustand zu erreichen, bei dem man sich in hellsichtiger Klarheit völlig gelöst und jedem Zeitgefühl enthoben fühlt, gibt es zwei Wege: Meditieren - oder András Schiff zwei Stunden lang Schubert spielen hören. Letzteres war am Freitag beim Gastspiel des ungarischen Tastenästheten in der Laeiszhalle möglich. Denn Schiff ließ sich Zeit, unendlich viel Zeit; nicht nur für Schuberts berühmte "himmlische Längen", wo sich ein und dasselbe Material zwischen Diskant und Bass endlos selig im Kreise dreht, sondern ebenso für die vielen kleinen Akkordkostbarkeiten, deren Nachhall er aufsteigen und sanft verwehen ließ.

Aus den Impromptus D 899 und D 935, den sechs Moments musicaux D 780 und den drei Klavierstücken D 946 hatte Schiff eine Schubertiade von epischer Länge zusammengestellt, die sich wie eine große Erzählung entfaltete: im Grundton stets versonnen und verträumt, mit einigen dramatischen Verdunklungen, die doch nur Episode blieben. Dafür schimmerte immer wieder der österreichische Tonfall des genialen Tanzmusikanten Schubert durch, der stundenlang zu seiner eigenen und seiner Freunde Pläsier aufgespielt und fantasiert hat.

Wenn Schiff nach einem der vier Zyklen das Podium verließ, ging er wie an Fäden gezogen und setzte seine weichen Schritte so vorsichtig, als fürchte er selber das vorzeitige Erwachen. Markige Steinway-Bässe wären da fast Ruhestörung, und so hatte der Meister seinen eigenen Bösendorfer-Flügel mitgebracht, dem er selten einmal ein energischeres Forte, aber endlose, fein artikulierte Obertöne einer sanften, gelassenen Wehmut entlockte. Erst mit den letzten, geradezu rüde-virtuosen Takten von op. 142/4 holte Schiff sich und sein Publikum in die nüchterne Realität des Konzertsaals zurück.