Ich sag mal: Was das Wort des Jahres und auch das Unwort des Jahres gesellschaftlich bewirken: nichts

Tut mir leid, aber ich weiß immer noch nicht, wer oder was die "Wutbürger" sind. Sind das die Leute, die mit selbst gepinselten Plakaten gegen Planfeststellungsverfahren protestieren; sind das die Bürgerinitiativen, die eine (meist kommunale) Maßnahme doch noch verhindern wollen? Oder sind das die Gewaltbereiten, die vor lauter Wut auch schon mal auf die Polizei einprügeln, wenn die mit Schlagstöcken und Wasserwerfern anrückt?

Ich weiß auch immer noch nicht, was eine "Alkoholfahrt" ist, die wochenlang der zurückgetretenen Kirchenfrau Margot Käßmann in den Medien angeheftet worden ist. Alkoholfahrt? Wenn "eine Autofahrt unter dem Einfluss von Alkohol" gemeint ist, warum heißt sie dann nicht so?

Zu lang, zu umständlich, ich weiß. Außerdem sind zusammengesetzte Wörter mächtig in Mode. "Wutbürger" ist immerhin Wort des Jahres 2010. Da hat offenkundig jemand versucht, die Wut der Protestierenden in Übereinstimmung zu bringen mit der Tatsache, dass die Wütenden ja gleichwohl Bürger sind - das Volk, der demokratische Souverän. Das ist zweifellos richtig. Nur wären daraus keine sprachlichen Konsequenzen zu ziehen, sondern politische.

Dasselbe gilt für das Unwort des Jahres 2010: alternativlos. Es will anzeigen, dass in diesem von Politikern, einschließlich der Kanzlerin, gern genutzten Wort ein Totschlagargument steckt, nämlich die Behauptung, dass ein Problem nur so und nicht anders zu lösen sei. Es gibt aber immer eine Alternative. Was hilft es, diese Erkenntnis bei einem Institut der Sprachkritik abzuliefern? Seit wann hören Politiker denn auf die Sprachkritik?

Die "Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres" hat sich übrigens im Jahr 1994 von der "Gesellschaft für deutsche Sprache e.V." getrennt, die das Wort des Jahres (er)findet. Die Unwort-Jury kürt in Frankfurt alljährlich auch ein "Börsen-Unwort des Jahres". Und das ist für 2010 wirklich interessant; es lautet: "Euro-Rettungsschirm". Falsches Wort, sagt die Unwort-Jury. Richtig wäre: "Notkreditlinie auf Zeit für bis über die Ohren verschuldete Staaten". Was aber sagen die Politiker? Der Rettungsschirm, die Eurozone und der Euro seien - na, was wohl: alternativlos.