Die Blues Celebration ist volljährig. Der fabelhafte Grenzgänger Steve Baker feiert sie mit Freunden in der Fabrik.

Fabrik. Die Geschichte, wie Steve Baker nach Deutschland kam, begann an einem Sonnabendmittag auf dem Portobello Market im Westen von London. Sommer 76. Am Wochenende spielte er dort mit ein paar Kumpels. Have Mercy nannten sie ihre Blues- und Jugband. Zwei Freundinnen gingen mit Stofftüten rum, sammelten von Passanten ein paar Pfund ein. Viel Geld brauchten sie eh nicht, Baker und seine Freunde besetzten ein leer stehendes Haus im Norden der Stadt. Meistens, erzählt er, kam die Polizei nach einer Viertelstunde, weil die Menschentraube den Verkehr am Markt blockierte. Dann zogen sie eine Ecke weiter - und abends in die Klubs.

Einmal hörte ihnen ein Abteilungsleiter der Technischen Hochschule aus Aachen zu. Er liebte den Blues, den die Jungs mit ihren kaputten Schuhen und den Lederjacken spielten. Und er lud sie ein nach Deutschland. Ein paar Auftritte könnte er ihnen sicher organisieren. Ja, ja, schon klar, dachte Baker. Drei Wochen später kamen die Tickets für die Fähre per Post. Und Baker ist bis heute in Deutschland geblieben.

Wer den Blues hat, der hört in jedem Akkord auch seine Geschichten mit. Der Blues ist nicht nur Musik. Er ist Balsam für die Seele. Er ist ein Pharmakon in Dur und Moll - sinnlich, manchmal so schmerzhaft, immer am Leben berauscht. Jeder Zuschauer kommt mit einem Lächeln auf dem Gesicht aus einem Konzert. So war es früher, Ende der 70er-Jahre, als Have Mercy ihre ersten Konzerte in Hamburg spielte. "Wir wollten auf den Tischen tanzen und die Leute in den Wahnsinn treiben", erzählt Baker über die Nächte im Knust, das damals noch an der Brandstwiete lag, neben dem Nürnberger Bratwurstherzle. Es gab Bier vom Fass für zwei Mark und Schwarzbrot mit Schmalz.

Das Bier ist teurer - aber der Wahnsinn bleibt, wenn Baker heute gemeinsam mit seinen Freunden Abi Wallenstein, Tom Shaka und Martin Röttger zur Blues Celebration einlädt. In diesem Jahr bereits zum 18. Mal.

"Drei Acts, familiäre Atmosphäre und ein gutes Gefühl, das war die Idee der Celebration", sagt Baker. Schon beim ersten Mal 1993 zelebrierten fast 900 Menschen den Blues in der Fabrik. Baker spielt Mundharmonika, Wallenstein und Tom Shaka auf ihren Gitarren, Röttger sitzt an den Percussions.

Der Blues lässt sich nicht neu erfinden. Er hat seine einzigartige Stimme von den Baumwollfeldern des Mississippi-Deltas bis heute nicht verloren. Aber Baker, Wallenstein, Shaka und Röttger gelingt eine originelle, spontane und gefühlsechte Interpretation.

Die Celebration wird volljährig - sie wird deswegen nicht brav und erwachsen. Aber sie ist gewachsen. Vince Weber, Blues-Harpist Henry Heggan und Paul Lamb and the King Snake spielten schon in der Fabrik; heute ist der Kanadier Dave Goodman bei der Celebration zu Gast. "Er ist ein unglaublicher Musiker", sagt Baker. Goodman kommt aus Victoria B.C., studierte Jazzgitarre, wohnte lange in San Francisco und seit zehn Jahren in Bremen. Auch er kam nur für eine Tour nach Deutschland. Auch er ist geblieben. Wie Baker.

Als sich in den 70er-Jahren Verstärker und E-Gitarren in den Hamburger Kellerkneipen durchsetzen, ist der akustische Blues von Have Mercy nicht mehr angesagt. Baker schlägt sich mit Studiojobs durch, schreibt Arrangements für Beat-Bands und spielt mit Tony Sheridan im Top Ten die Nächte durch. Manchmal von acht Uhr abends bis sechs Uhr früh. Es ist die Zeit, in der St. Pauli schmuddelig wird. Reiseführer weisen Wege durch die Großbordelle.

Wenn Baker heute über den Blues redet, lässt er manchmal auch seine Mundharmonika sprechen. "So klingt eine Marine Band Deluxe in Moll", sagt Baker und spielt los. "Und so in Dur." Baker ist heute der bekannteste Mundharmonikaspieler in Deutschland. Bei seinen Auftritten hat er einen Koffer mit 50 Mundharmonikas dabei. Verschiedene Tonarten, diatonische Harps und auch chromatische, spezielle Instrumente, manche nur für Soli, manche zum Schrammeln. Zu Hause stapelt Baker seine Mundharmonikas in Schubladen. Er hat aufgehört zu zählen. Im Urlaub, sagt Baker, da habe er meistens nur sechs Harps dabei.

Unterricht hatte er nie, spielte früher lieber Platten von Duster Bennett oder The Paul Butterfield Bluesband nach, kopierte Lieder von Little Walter und jammte zu Grateful Dead. Baker ist Grenzgänger. Er spielt nicht nur Blues, sondern "alles von Schlager bis Avantgarde". Er schreibt Lehrbücher, gibt Seminare und entwickelt für Hersteller neue Mundharmonika-Modelle mit. "Es ist eine kleine Welt", sagt er. "Aber ich habe das Gefühl, angekommen zu sein." 40 Jahre hat es gedauert.

Wer Steve Baker trifft, möchte also zum Abschluss noch eine Geschichte hören. Wie hat er die Mundharmonika für sich entdeckt? "Ich habe sie nicht entdeckt", antwortet Baker. "Als ich 15 war, hat sie mich entdeckt."

Mehr Blues geht nicht.

18. Hamburger Blues Celebration heute 21.00, Fabrik (MetroBus 2), Barnerstraße 36, Eintritt 16,- an der Abendkasse; www.fabrik.de