Als die Franzosen Nouvelle Vague die Bühne der rappelvollen Großen Freiheit 36 stürmten, schnellte das Rock'n'Roll-O-Meter in die Höhe.

Hamburg. Lange begossene Klischees können mitunter ganz schön verdorrt aussehen. Doch wer bei der französischen Band Nouvelle Vague glaubt, hier Wave-Punk-Düsternis in schwachbrüstigem Bossa Nova verpackt zu sehen, irrt gewaltig.

Als die beiden Sängerinnen die Bühne der rappelvollen Großen Freiheit auf St. Pauli stürmen, schnellt das Rock'n'Roll-O-Meter in die Höhe. Die Ladys gurren, stöhnen und brüllen ihre Coversongs vor einer Klangwand, die selbst sie nicht einreißen können - obwohl die löwenmähnige Sängerin Nadeah Miranda als Stimm- und Stimmungsbombe explodiert.

Barfüßig legt sie einen eindrucksvollen Ausdruckstanz hin oder erklimmt katzengleich das Saalgeländer. Die fragile Mareva Galanter, eine ehemalige Miss France, hat sich neben ihr auf den Part der zurückhaltenden Rockschlampe verlegt.

Beide tanzen in einem Hauch aus Nichts und Netzstrumpfhose. Der Saal tobt, als befände man sich im Moulin Rouge auf Pigalle. "Ich mag solche Frauen", stöhnt ein männlicher Konzertbesucher. Aber es heißt, gut zuhören, wenn Miranda singt: "Du kannst meinen Körper hundertmal haben, meine Seele kriegst du nicht."

Nouvelle Vague bringt einen Punk-Gassenhauer nach dem nächsten. "Blister In The Sun", "Too Drunk To Fuck" oder "Ever Fallen In Love". Zu "Human Fly" von The Cramps mimt Miranda die summende Fliege. Mit hinreißendem Akzent möchte Galanter mit Grauzone ein "Eisbär" sein im kalten Polar. Balladen wie "Teenage Kicks" von den Undertones oder "In A Manner Of Speaking" von Tuxedomoon bieten nur kurz Zeit zum Verschnaufen.

Das über drei Alben bewährt anglo-amerikanische Liedgut wurde auf dem aktuellen Nouvelle-Vague-Werk "Couleurs sur Paris" um französische Wave-Klassiker erweitert. "Oublions L'Amérique" brüllt der Saal mit, beklagt Mano Negras "Mala Vida" und wippt zu Lili Drops Reggae-Hit "Sur Ma Mob".

Die beiden französischen Vordenker Marc Collin und Olivier Libaux halten sich, flankiert von Schlagzeuger und Bassist, an Tasten und Akustikgitarre dezent im Hintergrund. Zeitlos mag die 80er-Jahre-Depression längst sein. Aber noch nie war sie so tanzbar, saft- und kraftvoll.