Im St.-Pauli-Theater erhält der Schauspieler André Szymanski heute den Ulrich-Wildgruber-Preis 2011

Hamburg. Geplättet war er. "Mit dem Ulrich-Wildgruber-Preis hätte ich nie gerechnet", sagt André Szymanski. "Wenn ich einen Hammerfilm gemacht hätte, klar, aber soo ..." Pause. Nachdenklicher Zug an der Zigarette. Die Auszeichnung der Nordmetall-Stiftung verleiht die Jury auch nicht für eine spezielle Rolle, sondern für mehrjährige darstellerisch besondere Leistungen. Und da kommt bei Szymanski doch einiges zusammen. Nicht erst seit dem Wechsel von der Berliner Schaubühne ans Thalia-Theater, wo er als König Claudius in "Hamlet", Agamemnon in "Atropa" oder Großinquisitor in "Don Carlos" zu sehen ist: Der Mittdreißiger - eigentlich noch zu jung für die gewöhnlich älter besetzten Figuren - verleiht ihnen ein Profil des Bösen und scharfkantige Kontur.

Nur ein Stichwort zu den Stippvisiten des Berliners in Hamburg: "Shoppen und ficken". Thomas Ostermeiers Inszenierung mit ihm und Bruno Cathomas machte Furore, blieb im Gedächtnis. Genauso wie Szymanskis grotesker "Robbentanz" über Eiswürfeln in Falk Richters "Unter Eis" beim Schaubühnen-Abstecher im Theater-Haus im Park. Da gab er den abgebrühten Unternehmensberater Aurelius Glasenapp, der sich beim "Abenteuer Kultur" im Firmenfreizeit-Musical entspannt - und trotzdem untergeht.

Im Gegensatz zu seinem rasch aufgestiegenen Darsteller. Mehr zufällig, doch kopfüber hat sich Szymanski in den Beruf gestürzt. Er kellnerte in seiner Geburtsstadt Chemnitz in der Kneipe, wo der Schauspielnachwuchs zu versacken pflegte. "Ich bin viel ins Theater gegangen, aber es hat gedauert, bis mir der Gedanke gekommen ist: Könnte ich auch selbst machen." Er schaffte es auf Anhieb in die Ernst-Busch-Schule, wo ihn Thomas Ostermeier - damals noch "Baracke"-Chef am Deutschen Theater - entdeckte, holte und anschließend an die Schaubühne mitnahm.

Ostermeier und Luk Perceval haben seine Entwicklung und den Weg wesentlich mitbestimmt. "Ostermeier ist ein richtiger Schauspieler-Regisseur", sagt Szymanski. "Er versteht es, ein geistiges und körperliches Bühnengerüst zu geben, in dem man sich wohlfühlt." Denn Schauspielen sei, nach Ostermeier, ein Angstberuf. Bei einem coolen Typen wie Szymanski schwer vorstellbar. Doch er erklärt: "Unsere Arbeit hat viel damit zu tun, gegen Ängste zu kämpfen und frei zu sein, was nicht immer klappt." Luk Perceval, den er bereits an der Schaubühne traf, sei anders: "Er gibt zwar eine Tendenz vor, aber wartet, bis man selbst herausfindet, was für die Figur richtig ist. Er ist ein weniger an Psychologie als am realen, wahrhaftigen Moment auf der Bühne interessierter Regisseur."

Mitte der Neunziger ist der Schauspieler von Berlin nach Hamburg gezogen. "Vor zehn Jahren hab ich mal zwei Wochen auf dem Kiez gewohnt, als ich mit Falk Richter auf Kampnagel 'Peace' probiert habe." Mit Peace auf den Kiez, ausgerechnet. Jetzt teilt er sich eine Wohnung in Altona mit dem Kollegen und besten Freund Bruno Cathomas, der auch die Laudatio hält. "Noch fühle ich mich in Hamburg nicht zugehörig. Es ist schwierig, Leute außerhalb des Theaters kennenzulernen. Ich bin öfter in Berlin, auch weil ich dort verbandelt bin." Im Neustart am Thalia sieht er eine große Chance, auch für sich - persönlich wie künstlerisch. "Es ist toll, auf einen jungen Regisseur wie Antú Romero Nunes zu treffen. Er stellt das Theater grundsätzlich infrage. Erst mal wird nicht gespielt und wenn man auf null ist, fängt es an. Extrem neu für mich, enorm anstrengend und aufregend."

André Szymanski stellt sich die Aufgabe, in den Figuren den Menschen zu treffen und dabei möglichst persönlich zu bleiben. Auch wenn er äußerlich betrachtet mit dem Preis-Namenspatron nichts gemeinsam hat: In diesem Punkt mögen sich diese zwei ausgeprägten, unverwechselbaren Theaterkünstler doch berühren.