Bei den Lessingtagen bewegen Gastspiele aus Wien und Tallinn

Hamburg. Aufklärung und die Folgen: ein Thema, das sich von vielen Seiten beleuchten lässt, wie zwei Gastspiele während der Lessingtage im Thalia in der Gaußstraße bewiesen. Lessings "Philotas" ist ein als Einakter kostümiertes Antikriegspamphlet - in der Regie von Michael Höppner vom Wiener Burgtheater fand es mühelos im Zentrum der Garage Platz. Eine Versuchsanordnung als klaustrophobische 70er-Jahre-Gefängnis-Klause.

In dieser ist der jugendlich stürmende, aber auch gefährlich selbstverliebte Prinz Philotas (Simon Kirsch) gleich bei seinem ersten Kriegseinsatz in Gefangenschaft des väterlichen Gegenspielers Königs Aridäus geraten. Als Druckmittel taugt er diesem aber nur solange, bis sein eigener Sohn Gefangener des gegnerischen Lagers wird. Eine klassische Pattsituation.

Drei Vaterfiguren in Gestalt des Königs Aridäus (Markus Hering), des Feldherrn Strato (Bernd Birkhahn) und des Soldaten Parmenio (Jürgen Maurer) bemühen sich vergeblich um aufklärerische Erziehung des Jünglings. Philotas jedoch ist entschlossen, seinem Vater den Sieg zu sichern. Gegen die Prinzipien von Vernunft, Machtausgleich und Friedenssicherung.

Diese denkwürdige Auffassung von Heldentum breitet Lessing, die Folgen des Siebenjährigen Krieges vor Augen, rhetorisch ausufernd aus, weswegen der Inhalt oft zur heruntergeschnurrten Leier verkommt. Trotz der furios aufspielenden Darsteller lähmt in der Inszenierung manche Länge und manch unnötig ausgespielter Songtitel.

Gegenwartsprobleme der estnischen Kulturpolitik verhandelt dagegen das Theater NO99 aus Tallinn in der clever-kunstverliebten Performance "Wie man dem Toten Hasen die Bilder erklärt". Kultusministerin Hase (estnisch Laine Jänes) belehrt eine Schar Künstler worthülsenreich über die Fallstricke der Kulturförderung. Bald darauf werden im wahrsten Sinn alle zu Überzeugungstätern der Kunst. Ein Akteur erläutert einem toten Hasen auf seinem Arm die Bilder einer Vernissage. Joseph Beuys's seinerzeit provokante Performance von 1965 lässt grüßen.

Dies ist das Einstiegsbild zu einer Performance, die die Diskurse und Überlieferungen der Theaterkunst mit Energie und Nonsens umkreist. Die zehn Akteure mixen körperbetontes Tanztheater mit Spiel und Sprechszenen zu einer Feier des Absurden. Auf Zuruf verrenken sich drei Darsteller in einer Impro-Pantomime zu unflätigen Begriffen. Ein Menschenknäuel formiert sich zur sozialen Plastik. Drei Performer im Hasenkostüm bestaunen schiefköpfig Menschenkunst, wie einst in Rainald Goetz' "Jeff Koons".

Die Truppe Estland um Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper bedient sich zu allgemeinem Staunen eines Zitatenschatzes, der von Xavier Le Roys Choreografien über Christos Verhüllungen bis zur Musik von Steve Reich langt. Amüsanter und treffsicherer hätte ein Kommentar zur Spardebatte in Hamburg kaum ausfallen können.