Großartiges Gastspiel “Verrücktes Blut“ des Berliner Theaters Ballhof Naunynstraße im Thalia Gaußstraße.

Hamburg. Vermissen Sie das manchmal im Theater, das Leben? Eine Bühne, auf der es so lebhaft und mitreißend zugeht, dass man sich pausenlos einmischen möchte? Obwohl man im Grunde ja froh ist, dass man mit den Problemen da oben nichts zu tun hat.

Genauso war es Sonntagabend im Thalia Gaußstraße, beim Gastspiel "Verrücktes Blut" des Berliner Theaters Ballhof Naunynstraße. Das postmigrantische Theater mischt derzeit mit seinen Inszenierungen die Theaterszene auf, wird eingeladen, ausgezeichnet und gilt als sicherer Tipp fürs Berliner Theatertreffen. Richtig so. Denn nichts ist hier überfrachtet und langweilig.

Eine packende Parabel über eine Schulklasse, die man getrost als Sauhaufen bezeichnen kann, und ihre Lehrerin, die zu ungewöhnlichen Erziehungsmaßnahmen greift. Da fliegen Fäuste und Flüche, ganz und gar nicht politisch korrekte Klischees über Muslime wechseln sich ab mit grellen Scherzen, Kanaksprak und anrührenden Bemühungen, alles wieder gutzumachen. Machodoofe Jungs in Trainingshosen, die sich pausenlos im Schritt wühlen, herumbrüllen und die Mädchen als "Schlampe" titulieren - so sieht man die sieben Jugendlichen auf der Bühne und weiß sofort: "Aha, Migrantenklasse."

Jeder terrorisiert so gut es geht die anderen, und die Lehrerin hat nichts zu melden. Erst als einem der Möchtegern-Gangsta eine Pistole aus der Tasche fällt und die Lehrerin dies als ihre Chance ansieht, die Klasse mit vorgehaltener Waffe zum Lernen zu zwingen, dreht sich alles um. Schillers "Räuber" will sie durchnehmen und daran erklären, was Freiheit und Aufklärung bedeutet. Notfalls eben mit der Knarre. Der eine muss so oft "Vernunft" aufsagen, bis er weiß, dass man es nicht mit "m" ausspricht. "Wer soll glauben, dass ihr keine Affen seid, wenn ihr nicht mal das schöne deutsche Wort Vernunft aussprechen könnt", schreit die Lehrerin. Ein anderer muss die Hose runterlassen und lernen, was Respekt vor Mädchen bedeutet.

Geht doch, meint man am Ende. Allerdings nur mit Gewalt. Oder geht es so gerade nicht? Und schon ist man mitten drin in der Sarrazindebatte. Hat die Lehrerin nun etwas gelernt? Oder die Schüler? Vielleicht das Publikum? Ja, eines ganz gewiss: So anregend und dem Leben abgeschaut macht Theater Spaß.