Beim Lessing - Parcours stellen Hamburger Schüler vor, was sie unter Miteinander verstehen.

Hamburg. "Nein, das ist definitiv keine Demonstration, sondern ein Kunstprojekt vom Thalia-Theater." Der Polizist spricht beruhigt in sein Funkgerät. Die bunte und lautstarke Versammlung auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz muss nicht von Staats wegen aufgelöst werden, der künstlerischen Freiheit sei Dank.

Die Freiheit ist es auch, die die Anwesenden an diesem nasskalten Montagmorgen in die Innenstadt gelockt hat. Der Lessing-Parcours, zu dem das Theater anlässlich der Lessingtage 2011 aufgerufen hat, zeigt in Musik, Tanz und Schauspiel, wie multikulturelles Miteinander aussehen kann. Und es sind keine professionellen Schauspieler und Tänzer, die ihre Interpretationen der Kerngedanken des großen Aufklärers zeigen, sondern Schüler.

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stehen in kleineren und größeren Gruppen herum, neugierige Passanten gesellen sich dazu. Den Steppke aus der zweiten Klasse und den Oberstufenschüler vereint an diesem Morgen eins: die Auseinandersetzung mit abstrakten Begriffen, die sehr konkrete Auswirkungen auf das tägliche Miteinander haben. Glaube, Toleranz, Freundschaft, Freiheit, Multikulturalität. Wie stellt man den Umgang mit Fremdheit und Bekanntheit dar, mit Ablehnung und Akzeptanz?

Vielleicht so, wie es die Grundschüler der Louise-Schroeder-Schule aus Altona machen. In bunte Capes gehüllt, wuseln die Nachwuchstänzer durcheinander, bilden Gruppen, trennen sich wieder, umarmen einander und laufen schließlich "Freiheit" rufend über den Platz. Ihre Performance steht dem lebenden Lessing-Denkmal und den anderen Darstellungen der Älteren in nichts nach. Und ihr Umgang miteinander vor, während und nach der Aufführung zeigt, dass ein herzliches Zusammenleben ganz unterschiedlicher Menschen mehr als bloße Utopie ist.

Die jungen Akteure widmen sich den Themenkomplexen jedoch nicht nur darstellend, sondern auch schriftlich. Bei der Lessing-Stoff-Sammlung schrieben 3500 Schüler aus dem gesamten Stadtgebiet ihre Gedanken auf bunte Stoffbahnen. Seit Januar hängen Überlegungen wie die der zehnjährigen Henriette an den Schulzäunen: "Akzeptieren muss man nicht, aber tolerieren, das ist Pflicht!" Parallel zum Lessing-Parcours startete der zweite Teil der von Gaby Luise Schönthaler konzipierten und durchgeführten Aktion. Im Lauf der nächsten Tage bringen die Schulklassen ihre Textbänder zum Theater. Dort weben sie aus den einzelnen Stoffbahnen einen Teppich, der alle Ideen zu einem Geflecht vereint. Am 4. Februar werden die Teilnehmer dieses Gewebe aus Wünschen, Hoffnungen und Meinungen gemeinsam zum Lessing-Denkmal am Gänsemarkt bringen. Bis dahin kann man im Internet und live an der Fassade des Thalia entdecken, welche An- und Einsichten in Schülerköpfen stecken.

Die Gegenwart der Aufklärung: www.lessing-stoff-sammlung.de