Jette Steckel inszeniert bei den Lessingtagen am Thalia-Theater “Don Carlos“, Schillers Drama um Macht, Liebe und Freundschaft

Thalia-Theater. Nein, "Don Carlos" sei keine Wunschinszenierung, gibt Jette Steckel zu, zieht nervös an ihrer Zigarette und fährt sich mit der Hand durchs aparte blonde Kurzhaar. Ihre Hände sind ständig in Bewegung. Die 28-jährige Regisseurin hat wenig Erfahrung mit monumentalen Klassikern und sich lange dagegen gesträubt, Friedrich Schillers Drama um Politik, Liebe und Freundschaft als große Hauspremiere zu den Lessingtagen an diesem Sonnabend am Thalia-Theater zu inszenieren. Gewissermaßen als Lehrstück in Toleranz und Plädoyer für die Freiheit des Geistes. "Es ist ein Kampf", räumt Steckel ein. "Ich habe noch nie einen Text erarbeitet, der sich so sehr einfordert durch die Sprache und diesen komplexen Plot."

Als fast schon kriminologisch empfindet Steckel ihre Arbeit. Allein das Ringen um die Folgerichtigkeit der Ereignisse nimmt großen Raum ein. Schmal bleibt da das Feld für eigene Ideen. Und genau dafür rühmt man derzeit von Hamburg bis Salzburg Steckels Talent. In "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" nach Ilija Trojanows Romanvorlage entdeckten Jörg Pohl und Bruno Cathomas den Wert der Kreativität in einem quirligen Roadmovie. Für Büchners "Woyzeck" in der Musicalversion von Tom Waits und Robert Wilson hat sie die typisierten Figuren auf einem Klettergarten turnen lassen.

"Don Carlos", 1787 kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution in Hamburg uraufgeführt, stellt die gewichtige Frage um das Despotische im Idealistischen. Vor dem Hintergrund der aufbegehrenden niederländischen Provinzen Spaniens entspinnt Schiller eine Intrige am Hof König Philipps II. (1556-1598). Kronprinz Don Carlos und der Marquis von Posa, Abgeordneter der niederländischen Provinzen, sind Freunde. Gegensätzlicher könnten sie kaum sein. Mirco Kreibich gibt den emotionalen Stürmer und Dränger Don Carlos, Jens Harzer den denkenden Idealisten Posa. "Sie schöpfen eher aus der Verschiedenheit und ringen um Gemeinsamkeit", erklärt Jette Steckel.

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Carlos sich in seine Stiefmutter Elisabeth verliebt, ihr seine Gefühle offenbart, woraufhin sie ihn an die Liebe zum Vaterland erinnert. Die Enttarnung der geheimen Leidenschaft droht infolge einer Intrige der Prinzessin Eboli. Die soll Mätresse des Königs werden, liebt aber Carlos und sinnt auf Rache. Politische Entwicklungen und private Scharmützel greifen ineinander. Die Verwicklungen bieten Stoff für mindestens fünf Dramen. Unter dem historischen Gewand entlarvt Schiller die Zwänge des absolutistischen Deutschlands.

Steckel fokussiert in ihrer Arbeit auf den Aspekt, dass Politik stets von Menschen gemacht wird, politische Entscheidungen stets auf dem komplexen Gefüge der Machtzentrale beruhen. Beim Forschen nach Übereinstimmungen zur Gegenwart fiel Steckel die WikiLeaks-Debatte vor die Füße. "Die Figur des Marquis von Posa ist ja fast mit Julian Assange vergleichbar", so Steckel. Geht es dem schillernden WikiLeaks-Anführer um Informationsfreiheit, so spricht Posa von Gedankenfreiheit für die unterdrückten Provinzen.

Damit kratzt das Stück auch an der Frage nach der Demokratie. Gerieten die Machtzentralen bei Schiller noch durch Briefe ins Wanken, rebelliert der Einzelne heute per Mausklick. "Wir leben in demokratischer Anästhesie", sagt Steckel. "Wir laufen mit Scheuklappen durch die Gegend, und wenn jemand sie öffnet, wie WikiLeaks, geraten wir in Bedrängnis." Ob die Menschen allerdings mit dieser Freiheit dann auch umgehen könnten, sei gleich die nächste Frage, die sich stelle. Nicht von ungefähr sagt König Philipp II. bei Schiller: "Kenntet Ihr den Menschen erst wie ich, würdet Ihr anders sprechen."

Vor der Premiere heute galt es, neben der einzudämmenden Handlungsmasse weitere Hürden zu überwinden. Steckels Bühnenbildner Florian Lösche hat für die Drehbühne in Anlehnung an Foucaults "Überwachen und Strafen" ein aufwendiges Bild für den Machtapparat entwickelt, um den Kampf Mensch gegen Maschine und Mensch gegen Individuum zu übersetzen.

Am Ende des Gesprächs ist auch Jette Steckel mit der Arbeit versöhnt, beschreibt sie als "lehrreich und schön". Ihre Vorbehalte rühren vor allem daher, dass sie Schillers Stücke als sehr in ihrer Zeit verhaftet empfindet. "Das unglaublich Gewinnende ist sein Pathos, diese extreme Beglaubigung des echten Gefühls. Das ist absolut unmodern und deswegen so toll", sagt Steckel. "Ich könnte die Texte saufen. Man ist so dankbar um so zweifelslose Bekundungen in einer Zeit, wo alles ironisiert, verflacht und erwogen ist." Es spricht einiges dafür, dass "Don Carlos" kein reduziert-entseelter Theaterabend wird.

Don Carlos Premiere Sa 22.1., 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten zu 13,50 bis 66,- unter T. 32 81 44 44 oder im Internet unter www.thalia-theater.de