Der Österreicher Georg Schmiedleitner seziert das Schauerliche in Shakespeares Drama “König Lear“ im Schauspielhaus.

Schauspielhaus. Georg Schmiedleitner ist ein Mann der klaren Worte. "Wir Österreicher sind am heitersten beim Sterben", sagt er. Warum das so ist, sagt er nicht. Er zuckt mit den Schultern. "Das Morbide hat die Kunst geprägt. Das Barocke hat immer auch etwas Todesnahes." Allein mit diesen Sätzen empfiehlt sich der Regisseur für seine derzeitige Großaufgabe, Shakespeares "König Lear" auf die Bühne des Schauspielhauses zu stemmen. Und er will sich ihr "mit allen Verästelungen" stellen. Die Premiere an diesem Sonnabend ist die erste Arbeit des Österreichers in Hamburg.

Es geht im "König Lear" um nichts weniger als die letzen Dinge und ihre Unentrinnbarkeit. König Lear entsagt seiner Ämter, trägt jedoch schwer an den Folgen. Er will sein Reich an die drei Töchter Goneril, Regan und Cordelia gemäß der Größe ihrer Liebe aufteilen. Die Bescheidenheit und Ehrlichkeit der Jüngsten, Cordelia, übersieht er, übergibt die Macht an die habgierigen Furien Goneril und Regan. Die haben nichts Besseres zu tun, als ihn schnellstmöglich loszuwerden. Lear muss fliehen und gerät in einen Sturm. Der Wahnsinn bemächtigt sich seiner.

Die fatale Fehlentscheidung zieht einen "Riss" in der Welt nach sich, aus der hyänengleich das Böse kriecht. Der Erbstreit hat für Schmiedleitner etwas Lebensnahes und zugleich Schauerliches und Groteskes. "Das Wüste zu entdecken ist meine Lust", sagt Schmiedleitner. "Veränderungsprozesse sind immer mit Schmerzen und Abstürzen verbunden. Nichts ändert sich harmonisch in der Welt." Man kann den Regisseur beinahe denken hören. Er entwickelt einen Gedankenraum, ein Psychogramm. Ihre theatrale Kraft entwickeln die Figuren in einer geschärften Anordnung.

Die Handlung verkompliziert ein zweiter Dramenstrang, in der der Graf von Gloucester einer Intrige seines unehelichen Sohnes Edmund zum Opfer fällt. Der eifersüchtige Edmund verleumdet den ehelichen Sohn, Edgar. Es endet in blutrünstigem Morden und Stechen. Markus John gibt den Lear nicht als Solo für einen abgehalfterten Herrscher, sondern zeigt einen Mann um die 50 an einer Kreuzung des Lebens, der sich eingestehen muss, dass er falsch gehandelt hat. Umgekehrt gelangt Edgar über die Verleugnung seiner Figur zu einer Erkenntnis. "Fast wie bei Beckett. Diese Dialektik eines Lebens, wo die Figuren in ihrer Verzerrung die Wahrheit über sich selbst entdecken", sagt Georg Schmiedleitner. "Das ist so modern gedacht. Wie im Psychologiehandbuch."

In Edmund entdeckt er gar den Typus des modernen Bankers. Frei von Kosmos, Sternen und Esoterik. Nur auf seine vitale Kraft vertrauend. "Das ist schauerlich, aber toll", sagt Georg Schmiedleitner. ",König Lear' ist das düsterste Stück überhaupt. Frei von jeder Transzendenz. Aber es zeigt, dass man durch menschliche Energie zu einer Lebensform kommt." Und darin entdeckt auch Georg Schmiedleitner einen Funken Hoffnung. Der Kern der Welt ist nihilistisch. Aber er liefert eine Katharsis im archaischen Sinn. Im Menschen ist der Kern seiner Möglichkeiten angelegt.

Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium zog es den Regisseur zum Off-Theater. Turbulente Zeiten hat er da miterlebt, bei den freien Theatergruppen "Spielstatt" und "Phoenix". Damals wurden Häuser besetzt, es herrschte Kulturkampf. In Deutschland arbeitet Schmiedleitner überwiegend in Mannheim und Nürnberg. Er liebt die großen, schweren Stoffe, die "nicht gleich in die Knie gehen". Als Ausgleich zum Stadttheater unterhält er in Linz eine Performancetruppe, das Hausruck-Theater. Mit Profis und Laien greift er Themen aus der Region auf. "Das ist mein Kraftwerk", sagt er. "Theater als soziale Skulptur, das mit dem arbeitet, was es vorfindet."

Der "König Lear" ist in weiteren Rollen etwa mit Samuel Weiss als Edgar gut besetzt. "Diese Figuren sind zum Heulen abgründig, komisch und verlassen", sagt Schmiedleitner. "Damit kann ich gut umgehen." Als Österreicher, versteht sich.

König Lear Premiere Sa, 20.00, Schauspielhaus (U/S Hbf.), Kirchenallee 39, Karten 9,50 bis 31,50 unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de