Auf dem neuen Album “Die Mathematik der Anna Depenbusch“ ist die feinste Chanteuse der Republik zu entdecken. Und die kommt aus Hamburg.

Hamburg. Manche Schmetterlinge brauchen etwas länger. Vor gut fünf Jahren lag die Hamburger Sängerin Anna Depenbusch auf dem Cover ihres Debütalbums eingesponnen in einen Kokon, und so klangen auch ihre Lieder. Fein, schwebend, innerlich. Eine junge Frau brütete sich selbst aus. Zuhören war erlaubt und erwünscht, aber es war, als lausche man an der Tür zu einer Welt, die einen eigentlich nichts angeht.

Vom Cover ihrer heute erscheinenden Nachfolger-Platte nun schaut uns das Foto einer rasant gescheitelten Brünetten entgegen - gerahmt von einem Rechenpapier mit altertümlichen Fluggeräten, hübsch kolorierten Quallen, Fantasievögeln und Fischchen. "Die Mathematik der Anna Depenbusch" heißt die Platte in Anspielung auf einen Buchtitel Esther Vilars, und das Bild lässt keinen Zweifel daran, dass die Welt der Zahlen und Graphen selbst für so eine wie Depenbusch mit ihrem kühlen Kopf nur mit viel Fantasie und Ablenkung zu ertragen ist.

Schon in seiner Anmutung markiert das neue Album einen unübersehbaren Sprung in Selbstwahrnehmung und -inszenierung. Auf ihrem Debüt nannte sich die Sängerin nur bei ihrem schön archaischen Vornamen Anna, jetzt wagt sie sich als Markenartikel in spe hervor: die Anna Depenbusch. Achtung, hier betritt jemand die Showtreppe der Diva - mit einem strahlend-selbstironischen Lächeln, versteht sich.

Weit verblüffender noch als die visuellen Indizien aber sind die akustischen Beweise, mit denen sich Anna Depenbusch, 33, hier als die vielleicht glanzvollste Chanteuse des zeitgenössischen deutschsprachigen Pop entpuppt. Die Überzeugungshamburgerin - hier geboren und zur Schule gegangen, nur zum Studieren kurz mal in Berlin, Abwanderungspläne: keine - hat nahezu das komplette Material selbst getextet, komponiert und produziert.

Wer der zierlichen Erscheinung etwas länger beim Reden zuhört, dem fällt neben der Frische und ja, Fröhlichkeit ihres Stimmklangs eine in die Watte des Charmes gepackte Resolutheit auf. Frau Depenbusch weiß, was sie will, und, bei aller Bescheidenheit: Das bekommt sie dann bitte auch. So ließ sie sich etwa für teuer Geld sowohl mobiles Aufnahmegerät als auch Personal des exzellent beleumundeten Teldex Studios Berlin nach Wroclaw (Breslau) in Polen karren, um dort Aufnahmen mit dem Wroclaw Score Orchestra machen zu lassen.

Die kamen dann mit einem opulenten Klang nach Hause, der jeder Klassik-CD Ehre gemacht hätte. Und was ordnet Frau Depenbusch ihrem Toningenieur und Mischer Marc Schettler an? "Jetzt dreh das mal alles ganz schlank!" Will sagen: bloß keine Fettleibigkeit im Sound, lieber alles schmal und mittig. "Ich wollte auf keinen Fall mit dem Orchester protzen." Das Ergebnis gibt ihr recht. Die von vier handverlesenen Hamburger Arrangeuren geschriebenen Orchesterparts fügen sich wunderbar unauffällig in das individuelle Klangpanorama der Platte ein, das an so unterschiedliche Genres wie französische Chansons, englischen Pop mit Armeleute-Klavier und geistreich instrumentierte Unterhaltungsmusik der 60er-Jahre denken lässt und nebenbei auch noch diskrete Anleihen bei den Beatles oder Hans Albers nimmt.

Mit staunenerregender Leichtigkeit und Souveränität jongliert Anna Depenbusch mit Instrumentalklängen - neben einer Kernmannschaft von vier Musikern lud sie sich das halbe Branchenbuch guter Hamburger Musiker ins Studio -, vor allem aber mit den Nuancen ihrer Stimme. Sie probiert Rollen wie ein Kind, das in Kostüme schlüpft, aber das Spiel mit der Verkleidung kippt nie in schlechtes Theater.

Ob sie einen heiteren Liebesreigen à la Schnitzler entwirft ("Tim liebt Tina") oder in der lustig-mondänen Ballade "Madame Cliquot" eine männermordende Spielerin gibt, ob sie dem unsteten Liebchen eines Schnösels, der diesmal dann doch zu weit gegangen ist, ihre Stimme leiht ("Wenn du Nachhause kommst") oder die gute Freundin ist, die der anderen mal ehrlich was sagen muss ("Monoton"): Anna Depenbusch bleibt immer nah am eigenen Gefühl - und hält doch gleichzeitig genug Abstand dazu.

Als sie kürzlich bei "Inas Nacht" ihr Es-ist-vorbei-Lied "Kommando Untergang" sang, traf die Meisterin der Zwischentöne mit ihrem Gesang Leute unterschiedlichster musikalischer Vorlieben mitten ins Herz. Das zeigen die verzückten Einträge, die nach dem Auftritt ihr virtuelles Gästebuch fluteten.

Das Hamburger Label 105 music, das zuletzt mit dem von Frank Ramond getexteten und produzierten Album "Tambor" von Hamburgs Top-Sängerin Ulita Knaus ziemlich auf den Bauch fiel, beweist im Falle Depenbusch erfreuliche Risikobereitschaft. Hier kommt keine Pop-Meterware, sondern Feinstes aus der Seidenschneiderei einer Raupe, die ihren Kokon endlich verlassen hat.

Anna Depenbusch: "Die Mathematik der Anna Depenbusch", 105 music. Am Sonnabend, 15.1., 15 Uhr, signiert die Künstlerin Alben und gibt Autogramme bei Saturn in der Mönckebergstraße.