Tanzshow statt Abtanzball im CCH: “Último Tango“ lenkt zweimal den Blick auf den synkopischen Hüftschwung voll Erotik und Melancholie.

CCH. So stellen sich viele Buenos Aires vor: Jugendstilgebäude säumen Plätze, auf denen sich unter Platanen die Paare zum Tango drehen. Wochenende im Altstadtbezirk San Telmo, dem mit dem berühmten Flohmarkt. Sehr viel hat das Ganze mit dem Alltag der Porteños, wie sich die Einwohner der argentinischen Hauptstadt nennen, heute allerdings nicht mehr zu tun. San Telmo ist ein charmant herausgeputztes Touristenviertel, steingewordenes Sehnsuchtsziel heutiger Reisender.

Aber der Tango - Tanz, Musik und Lebenshaltung zugleich - gehört den Argentiniern ja auch nicht mehr allein. Längst hat er seinen Siegeszug um die ganze Welt angetreten. Davon zeugt die explosive Show "Último Tango", die heute und morgen in Hamburg gastiert. Das Ensemble "Tango Pasión" und das Opus Tango Orchestra feiern eine rechte "Milonga", wie man die Tangoabende am Río de la Plata nennt.

"Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann", auf diese griffige Formel hat der Tangokomponist Enrique Santos Discépolo das Wesen des Tangos gebracht. Stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Da fliegen die Röcke bis zur Taille, schlingen sich bloße Oberarme rücklings um Männerhälse und verschmelzen die Silhouetten im synkopischen Hüftschwung: Der Tango hat das Zeug zum Skandal.

Dass Erotik und Melancholie so nahe beieinanderliegen, das ist eben sein argentinisches Erbe - mag sich der Tango heute noch so universell geben. Das Wandern ist Teil seiner Identität, seit er um 1900 das Zwielicht des Hafenviertels von Buenos Aires erblickte. Wann das genau war, hat kein Chronist in den Annalen der Stadt vermerkt. Der Tango war eben ein Schmuddelkind.

Länger als ihn selbst gab es seinen Namen. Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnete "tango americano" die beliebte Habanera. Die schwappte von Kuba aus in die Kaschemmen und Bordelle von Buenos Aires und Montevideo, wo sie sich mit der Milonga vermählte, einem Gaucholied, das sich gleichfalls zum Tanz entwickelt hatte. Dass das Kind dieser Verbindung eine solche Weltkarriere machen würde, war nicht abzusehen. Für die Bewohner der Altstadtviertel Palermo Viejo oder La Boca aber wurde es zum Inbegriff ihres Lebensgefühls. Argentinien, will sagen die paar unermesslich reichen Familien, die das Land unter sich aufgeteilt hatten, war mit Einwanderern nicht zimperlich. Und so zerplatzte manche Vision vom besseren Leben, auf einer entbehrungsreichen Schiffsreise monatelang gepflegt, schon auf den ersten Metern in der neuen Heimat. Not, Korruption und Verteilungskämpfe prägten das Leben damals ähnlich, wie sie es in diesen Tagen wieder tun. Da blieb oft nicht mehr als die Flucht in die Erotik.

Die aufkommende Plattenindustrie beförderte den Tango nach Paris und von dort aus im Sturmschritt in die restliche Welt. Was wir heute für typisch argentinisch halten, der sehnsüchtig klagende, leicht näselnde Klang des Bandoneons, ist in Wahrheit eine deutsche Beimischung: Der Krefelder Musikalienhändler Heinrich Band hat dieses Knopfakkordeon konstruiert.

Daheim sank derweil der Stern des Tangos. Der Diktator Juan Perón bescherte ihm eine vorübergehende Renaissance, indem er vorschrieb, 50 Prozent der Radiomusik müsse aus Argentinien sein. Doch in den 70er- und 80er-Jahren wandten sich junge Leute lieber der einheimischen Rockmusik zu.

Wie lebendig der Tango bis heute ist, das zeigen die zahllosen Wandlungen, die er vollzogen hat: Ob finnischer oder ungarischer Tango, ob der Tango Nuevo eines Astor Piazzolla oder Mischformen wie der Elektrotango, die Bandbreite an Stilen ist heute kaum noch zu übersehen. 2009 nahm die Unesco dem Tango gar in ihre Liste der immateriellen Kulturgüter auf.

Im Heimatland des Tangos hat man sich im Zuge der Wirtschaftskrise auf das ökonomische Potenzial des Tanzes besonnen. Schließlich blüht die Tangokultur mittlerweile weltweit; sechs Abende die Woche ziehen die Tangueras und Tangueros in die Klubs. Nur montags nicht. Irgendwann müssen die Füße ja auch mal Pause haben.

Tango Pasión 14./15.1., 20.00, CCH 2 (S Dammtor), Marseiller Str. 2 Karten zu 34,05 bis 66,30 Euro in den Abendblatt-Ticket-Shops, T. 30 30 98 98; Internet: www.bb-promotion.com