Arno Surminski liest heute aus seinem neuen Roman über den Todesmarsch jüdischer Frauen

Hamburg. Max Broder ist kein Heimwehtourist. Er reist im Frühjahr 1998 nach Ostpreußen nicht aus Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat, die unwiederbringlich bleibt. Max Broder, von dem Arno Surminski in seinem neuen Roman erzählt, geht es um die Geschichte seines Vaters, der drei Monate zuvor gestorben ist: Was hat er getan, als er in der Uniform der Waffen-SS KZ-Gefangene auf ihren Todesmärschen zur Ostsee begleitete? Welche Bilder entstehen im Kopf, wenn man sich vorstellen muss, dass der eigene Vater als Mitglied einer Wachmannschaft wehrlose Häftlinge erschießt?

"Winter Fünfundvierzig oder Die Frauen von Palmnicken" (Ellert & Richter) heißt Arno Surminskis Buch, aus dem er heute im Fährhaus Zollenspieker liest. Der Hamburger Schriftsteller, der als Zehnjähriger aus Ostpreußen fliehen musste, hat immer wieder über Vertreibung geschrieben, ohne zum "Vertriebenen-Autor" zu werden. Er hat Verbrechen nie relativiert, das eigene Leid nie gegen das der anderen aufgerechnet. Er hat immer das Ganze im Blick behalten und stets gefragt, wie sich der Einzelne verhalten hat.

Das große Thema des neuen Buchs ist der Todesmarsch Tausender jüdischer Frauen, der vom KZ Stutthof über dessen ostpreußisches Außenlager und dann über das bereits zerstörte Königsberg an die Ostsee führte, wo sie erschlagen oder erschossen wurden, ertranken oder vor Entkräftung starben.

Die Rahmenhandlung bildet die Reise von Max Broder, der sich zunächst in Kaliningrad auf die Suche nach den Spuren des Vaters begibt. Doch dort ist niemand an der Geschichte interessiert, auch Tatjana nicht, die junge Fremdenführerin, die Max Broder schließlich nach Palmnicken, das heute auf russisch Jantarnyj heißt, begleitet. Ihr eigener Vater ist in Afghanistan gefallen. Was er dort gemacht hat, will sie nicht wissen.

Was im Winter 1945 tatsächlich geschehen ist, schildert Surminski im Hauptteil des Buches ebenso schnörkellos wie einfühlsam, indem er das Schicksal von sechs Frauen nachzeichnet. Für sie alle wird das an der samländischen Ostseeküste gelegene Palmnicken zum Schicksalsort.

So entsteht ein historisches Panorama, das Ereignisse, die ungeheuerlich und fast unvorstellbar sind, auf beklemmende Weise verständlich macht.

Literaturdinner mit Arno Surminski heute 19.30, Zollenspieker Fährhaus (Bus 120, 124), Zollenspieker Hauptdeich 143, Kosten: 29,- inkl. Literaturteller, Karten unter T. 793 13 30; www.arno-surminski.de