Die Ausstellung und der Film “Zwiebelfische“ zeigen das gemeinsame Schicksal des Sohns von Max Ernst - und einer Druckerei in Glückstadt.

Museum der Arbeit. Die Tür, die sich zur Fremdsprachendruckerei Heinrich Wilhelm Augustin im schleswig-holsteinischen Glückstadt öffnet, ist der Eintritt in eine fremde Welt. Eine stille Welt voller Schreibtische, Schränke, Lettern und Monotype-Maschinen. Eine Welt, in der ein Buch noch ein individuell gefertigtes Kunstwerk darstellte. Das galt erst recht für jene fremdsprachigen Bücher, die nicht in lateinischen Lettern erstellt wurden. "Es überkommt einen Wehmut, wenn man sieht, was gewesen ist und was nie wieder sein wird", sagt Walter Prueß düster, heute Geschäftsführer der Druckerei Augustin, und blickt in die menschenleeren Räume.

Beobachten kann man ihn in dem sehenswerten, mit dem norddeutschen Filmpreis dekorierten Dokumentarfilm "Zwiebelfische - Jimmy Ernst, Glückstadt - New York" von Christian Bau und Artur Dieckhoff. Er ist von heute an täglich in der Ausstellung "Zwiebelfische. Jimmy Ernst und der chinesische Zirkel" im Museum der Arbeit zu sehen. Film und Schau leisten mehr, als nur nostalgisch die Techniken eines überholten Handwerks zu feiern: Im Mittelpunkt stehen die konkreten Geschichten einer der führenden Fremdsprachendruckereien und eines jungen Mannes. Der chinesische Satzzirkel der Druckerei Augustin, das Herzstück der Ausstellung, ist eng verknüpft mit dem Schicksal von Hans Ulrich Ernst, genannt Jimmy. Wie ein Zwiebelfisch, also eine im falschen Fach abgelegte Bleiletter, fand dieser erst im Laufe seines Lebens an seinen Bestimmungsort. Der Sohn des Surrealisten Max Ernst und der jüdischen Kunsthistorikerin und Journalistin Louise Straus trat 1935 mit 15 Jahren als Setzerlehrling in die Druckerei ein.

Inhaber Heinrich Wilhelm Augustin ließ sich von den herrschenden Nationalsozialisten nicht irritieren und druckte etwa die Werke amerikanischer Anthropologen, deren Aussagen konträr zu Rassenideologie der Nazis standen. Allerdings entstanden seit 1931 auch die Drucksachen der Marine bei Augustin. Vor allem sein Sohn Johannes Jakob Augustin beschützte Jimmy Ernst vor der Hetze der Glückstädter - bis er selbst wegen der Gründung eines amerikanischen Tochterverlages und seiner Homosexualität unter Druck geriet und schließlich in die USA emigrieren musste. Fortan kümmerte sich Heinrich Wilhelm Augustin selbst um Jimmy Ernst.

Vor allem die Spezialabteilung für bis zu 120 lebende und tote Sprachen faszinierte den jungen Mann. Zum Repertoire zählten Arabisch, Koptisch, Tibetisch ebenso wie Keilschrift. Ernst entwickelte ein ausgeprägtes Interesse für Buchstaben und Typen, sah in jedem Zeichen ein eigenes Bild. Die 12 000 Zeichen des chinesischen Satzzirkels setzten Jimmy Ernst und seine Kollegen, ohne die Sprache zu beherrschen.

Heinrich Wilhelm Augustin half ihm, 1938 in die USA zu emigrieren. In New York gründete Ernst eine Familie und wurde Künstler wie sein Vater. Seine seit Jahren in Frankreich lebende Mutter Louise Straus-Ernst sah er nicht wieder. Seit 1944 war sie im Lager Drancy bei Paris interniert. Mit dem vorletzten Transport wurde sie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. "Zwiebelfische" ist Dokument des Untergangs einer glorreichen Buchdruckära in einer von Schreckensherrschaft geprägten Zeit, aber auch einer späten Selbstfindung. Und am Schluss macht Walter Prueß das Licht aus.

Zwiebelfische. Jimmy Ernst und der chinesische Zirkel 11.1. bis 6.3., Museum der Arbeit (U/S Barmbek), Wiesendamm 3, Mo 13.00 bis 21.00, Di-Sa 10.00 bis 17.00, So 10.00 bis 18.00, Filmvorführung tägl. 13.00; www.museum-der-arbeit.de