Bei Xavier Naidoos Konzertprojekt “Wir beaten mehr“ hatten sich alle lieb. Für aggressiven Hardcore-Rap war kein Platz.

Hamburg. Wer ist der härteste Rapper? Wer skandiert die schnellsten Reime? Welche Stadt hat die coolste Szene? Fragen, die zu manchem verbalen Scharmützel in der deutschen Hip-Hop-Szene führten. Moses Pelham, Boss des Frankfurter 3p-Labels, feuerte Breitseiten auf Hamburger Hip-Hop-Künstler ab; mit den Rappern von Aggro Berlin um Bushido und Sido wollte niemand etwas zu tun haben.

Und in Fan-Foren wurde heftig darüber gestritten, ob nun Hamburg, Stuttgart oder Berlin die Hauptstadt des deutschen Hip-Hops sei. Doch diesen Dissens soll es nicht mehr geben, findet Xavier Naidoo, gottesfürchtiger Soulsänger aus Mannheim mit Frankfurter 3p-Vergangenheit.

Deshalb hat er Rapper und Soulsänger aus verschiedenen Städten und Szenen für zwei Shows in Hamburg und Berlin zusammengetrommelt. "Wir beaten mehr" ist das Motto, gemeint ist "Wir sitzen alle in einem Boot und vertragen uns".

Mehr als 12 000 Zuschauer sind in die O2-World-Arena gekommen, um dieses Star-Aufgebot zu erleben. Mütter in Begleitung ihrer Ü10-Kinder, die gemeinsam die Ich + Ich-Songs mitsingen, Jan-Delay-Hits schmetternde Teenager-Jungs, die Baggy-Pants tief und die Baseball-Kappen schief sitzend, Endzwanziger, die vor zehn Jahren vom Hip-Hop-Virus infiziert wurden, und all jene, denen bei Xavier Naidoos Gutmenschen-Soul die Augen feucht werden, das Herz aufgeht. Soul und Hip-Hop sind schon lange im Mainstream angekommen, Ecken und Kanten gibt es an diesem Abend nicht und sind wohl auch nicht erwünscht.

Der Frankfurter Rapper Azad, mit seinem kurz geschorenen Schädel und seinen Tattoos eher ein harter Bursche, singt zusammen mit der einen Kopf größeren Popsängerin Cassandra Steen das hoffnungsvolle "Eines Tages". Für seinen aggressiven Hardcore-Rap "Fuck Tha Police 2010" ist bei diesem so friedlichen Konzert kein Raum. Es scheint, als habe Xavier Naidoo auch die Songs der Gastkünstler persönlich zusammengestellt. Viele dieser Lieder würden auch gut auf einen Kirchentag passen: Es geht um Liebe, Trost und den ewig währenden Traum von einer besseren Welt. Hip-Hop als popmusikalische Gegenbewegung und als oft wütender Ausdruck einer unterprivilegierten Schicht kommt bei "Wir beaten mehr" nicht vor.

Als Jan Delay dann im letzten Drittel der Show auf die Bühne kommt, hat er es leicht. Inzwischen zu einem herausragenden Entertainer gereift, scheint sich bei seinen vier Nummern Intensität und Tempo zu verdoppeln. Nach "Flashgott" werden "Oh Jonny" und "Klar" zum Befreiungsschlag dieses netten Midtempo-Konzerts. Jan Delay ist seit seinem Beginn mit der Hamburger Rap-Combo Absolute Beginner ein Garant für intelligente und witzige Songs, egal ob er sie als Hip-Hop, Reggae oder Funk präsentiert. Der Mitsingfaktor liegt bei zehn, jeder im Saal kennt nicht nur die Refrains, sondern den ganzen Text. Als dann noch Das Bo als Gast bei seiner eigenen Nummer "Türlich' türlich/ Sicher Dicker" - im Jahr 2000 ein Hit seiner Band Fünf Sterne deluxe - mitrappt, ist der Höhepunkt des Abends erreicht. Mehr ging damals in der guten alten Eimsbush-Zeit nicht, mehr geht auch heute nicht.

So gut gemeint die Idee von Xavier Naidoo und seinem Mitgastgeber Kool Savas auch ist, die Dramaturgie des Abends stimmt leider nicht. Soul hat ganz klar das Übergewicht an dem fast dreistündigen Abend, erst nach einer Stunde kommt mit Azad der erste Rapper aus den Kulissen.

Immer wieder hängt das Programm mit schlappen Nummern durch wie bei J-Luv, der mit seinem Irokesen-Haarschnitt, seinen Tattoos und dem schaukelnden Gang äußerlich alle Klischees des harten Rappers erfüllt, aber mit "Weine nicht" ein fast rührseliges Poplied singt. Auch Joy Denalane, im Stuttgarter Freundeskreis groß geworden, bringt keine ihrer starken Solonummern mit, sondern singt eine neuen, nicht wirklich prickelnden Song.

Außer Jan Delay hinterlässt Adel Tawil, der Sänger von Ich + Ich, den stärksten Eindruck. Für "Stadt", sein Duett mit Cassandra Steen, und den Ohrwurm "Vom selben Stern" springen die Fans von ihren Sitzen und überschütten Tawil mit Ovationen. Auch Max Herres "Wo rennen wir hin" groovt durchaus. Doch etwas mehr Wahnsinn hätte es bei "Wir beaten mehr" schon sein dürfen. So mancher Fan wird mit Wehmut an die beiden Flash-Festivals in Hamburg vor zehn Jahren zurückdenken: Beginner, Fettes Brot, Samy Deluxe, Deichkind, Dendemann auf einer Bühne. Aber das ist Nostalgie.