Bariton Thomas E. Bauer liefert eine begeisternde Einspielung von Schuberts “Winterreise“ ab, dem wohl bekanntesten Liederzyklus überhaupt.

Wer sich an Schuberts "Winterreise" heranwagt, sollte etwas Wichtiges zu sagen haben. Denn bei dem wohl bekanntesten Liederzyklus überhaupt ist die Konkurrenz erdrückend: Die Ahnengalerie der legendären Aufnahmen reicht hier von Peter Anders über Dietrich Fischer-Dieskau und Christoph Prégardien bis zu Christine Schäfer und Werner Güra. Doch Thomas E. Bauer begegnet diesen großen Interpreten auf Augenhöhe: Der deutsche Bariton hat unverkennbar seinen ganz eigenen Zugang zu dem Werk gefunden.

Auf diesem Weg wandert er nicht alleine, sondern durchschreitet die 24 Etappen der romantischen Reise durch die Einsamkeit Hand in Hand mit seinem kongenialen musikalischen Partner Jos van Immerseel. Indem der Pianist den modernen und brillanteren Konzertflügel gegen ein originalgetreu nachgebautes Fortepiano tauscht, erzielt er einen milchig verschwommenen und ein bisschen heiseren Klang, der wunderbar zur Stimmung der Musik passt. Van Immerseels fragile Grundierung gibt dem Sänger alle Freiheiten - und die nutzt Thomas E. Bauer für eine fein differenzierte und eindringliche Darbietung seiner Kunst.

Mit schlankem, edlem Timbre erzählt er die Geschichte des einsamen, enttäuschten und lebensmüden Winterreisenden, der sich von der Liebe und den Menschen längst entfernt hat. Dabei trifft er den typisch schubertschen Ton tiefer Traurigkeit genau: Es ist kein schreiender Schmerz, der den Hörer anspringt, sondern meist eine leise, nach innen gekehrte Wehmut - wie etwa in den "Nebensonnen", kurz vor Schluss, deren Satz "Im Dunkel wird mir wohler sein" die erlösende Ruhe der Resignation beschwört. Das ist nur einer vieler erschütternder Momente.

Thomas E. Bauer und sein Partner am Hammerflügel tasten sich behutsam in die romantische Ausdruckswelt des Zyklus nach Texten von Wilhelm Müller hinein. Vieles spielt sich bei ihnen im Bereich der seismografischen Nuancen ab: in den minimalen Verzögerungen vor einer neuen Strophe oder zu Beginn eines harmonischen Lichtwechsels zum Beispiel, mit denen bereits das erste Stück, die "Gute Nacht", organisch gegliedert ist. Oder in den vielen kleinen Nuancen in der Textgestaltung - einer durch gleichförmige Achtel angedeuteten Starre bei dem Wort "unverrückt" etwa oder einem mit einer plötzlichen Dur-Wendung aufgehellten a-Vokal im "Lindenbaum" als kurzer, trügerischer Sonnenschimmer. Und dann ist da natürlich, nicht zuletzt, die reiche Palette an gedeckten, fahlen Farbschattierungen, die der Sänger mitunter (wie im Lied "Der Wegweiser") bis ins Flüstern zurücknimmt.

Solch verhaltene Klänge stehen klar im Vordergrund - aber Bauer schafft auch starke Kontraste, wenn einige Lieder das verkrustete Leid des lyrischen Ichs hervorbrechen lassen. So wie in dem Stück "Auf dem Flusse", in dem der zugefrorene Fluss zum Bild für das erstarrte Herz wird und der Bariton dramatische Akzente setzt.

Trotz aller Feinheiten und sorgfältig nuancierter Details wirken die Lieder stets vollkommen natürlich gesungen und geatmet. Diese Balance zwischen kunstvoller Gestaltung und anrührender Schlichtheit zeigt deutlich, dass Bauers Interpretation in vielen Aufführungen gereift und von tiefer Menschlichkeit beseelt ist. Und so offenbart uns die Aufnahme jene verletzliche Größe der Musik Schuberts, die einen zu Tränen rühren und im kalten Winter das Herz wärmen kann.

Die Winterreise Thomas E. Bauer, Jos van Immerseel (Zig-Zag Territoires)