Der Arzt Hans-Jürgen Dibbert hat in den 70er-Jahren Popstars in Hamburg fotografiert. Zu sehen sind die Bilder in seiner Eppendorfer Praxis.

Hamburg. Wer in die Arztpraxis von Hans-Jürgen Dibbert kommt, muss an Udo Jürgens, Elton John, Bill Haley und Hannes Wader vorbei. Die Musiker hängen schwarz-weiß und gerahmt im Treppenhaus einer Eppendorfer Stadtvilla in der Heilwigstraße. Sie sind Wegweiser zu einem fotografischen Schatz, großformatige Zeugen einer Zeit, in der Hamburg die deutsche Hauptstadt der Popmusik war - und in der aus Hans-Jürgen Dibbert "Bob" Dibbert wurde. Weil er Bob Dylan nicht unähnlich gewesen sein soll und weil er damals Gitarre spielte. Bis er zugeben musste, dass die meisten mit dem Instrument besser umgehen konnten als er. Und er sein eigentliches Instrument für sich entdeckte: die Fotokamera.

Heute liegt in der Praxis von Bob Dibbert vorne links das Verbandsmaterial, daneben warten verschiedenfarbige Röhrchen auf ihren Einsatz bei einer Blutabnahme. In alten Notenkästen lagern Fachzeitschriften über Schlafstörungen und Depressionen, Diabetes und Borreliose. An der Wand gegenüber hängen zwei riesige Fotos. Auf dem linken sitzen die Musiker von Pink Floyd um Roger Waters und David Gilmour bei Wein, Bier und Cola in der "Fürst-Kate" in der Barmbeker Straße. Entstanden ist das Bild nach ihrem Konzert in der Musikhalle im Februar 1971. Auf dem rechten Foto konzentriert sich ein nachdenklicher Leonard Cohen in der Künstlergarderobe auf seinen bevorstehenden Auftritt in Hamburg. Der Musiker sitzt in einem Stuhl vor einem großen Spiegel. Und in dem ist, im Hintergrund an ein Klavier gelehnt, Bob Dibbert mit seiner zweiäugigen Yashica-Kamera in der Hand zu entdecken. Ein stiller Zeuge des Moments.

Bob Dibbert ist 22 Jahre alt, als er 1966 nach seiner Bundeswehrzeit zum Medizinstudium nach Hamburg kommt. Bereits als Schüler in Rinteln hatte er für die "Schaumburger Zeitung" fotografiert. Sein Vater, ebenfalls Arzt, hatte ihn für die Fotografie begeistert. In Hamburg hat zu dieser Zeit mit der Schließung des Star Clubs das Sterben der Liveklubs seinen traurigen Höhepunkt erreicht. Bis plötzlich Neues entstand: 1 969 trafen sich im Onkel Pö, einer kleinen Baracke am Mittelweg, Musiker wie Hannes Wader und Eckardt Kahlhofer, Karl Dall und Gottfried Böttger. "Da entwickelte sich quasi im musikalischen Untergrund mit einem Mal eine neue Liveszene", beschreibt Pianist Böttger die wilden Jahre des Aufbruchs, "es trafen sich Leute, die einfach Lust hatten zusammen zu musizieren, weitab vom Kommerziellen."

Bob Dibbert war von Anfang an mit seiner Kamera dabei. Die beliebtesten Treffpunkte waren das Onkel Pö, das wenig später in den Lehmweg umzog, und die Fabrik in Altona. Deren Mitbegründer und heutige Geschäftsführer Horst Dietrich wollte eine Kultur, die für alle da ist und nicht nur für die Etablierten. Drei Mark kostete ein Konzertticket im Schnitt, und für Fotografen herrschten nahezu paradiesische Zustände. "Es gab damals nur eine sehr geringe Distanz zwischen Künstler und Fotografen", sagt Dibbert, der damals als freier Mitarbeiter für den Konzertveranstalter Karsten Jahnke arbeitete. Es gab keine Bodyguards, keine abgesperrten Bereiche und keine zeitliche Begrenzung für Fotoaufnahmen beim Auftritt. Manchmal war er der einzige Fotograf vor Ort, manchmal waren noch zwei, drei seiner Kollegen da - aber nie so lange wie er. "Die machten drei Bilder und gingen dann wieder."

Dibbert blieb. Machte Fotos vor und nach den Konzerten. Drückte am Tresen auf den Auslöser, in der Garderobe und draußen vor der Tür. War ein leiser Beobachter und nie aufdringlich. "Man hat mit den Künstlern geredet, sie aber nicht vollgequatscht", sagt er.

Weil in Hamburg die großen Plattenfirmen saßen, war die Hansestadt für die meisten internationalen Pop-Größen die erste Station auf ihrer Europa-Tournee. Daneben entwickelte sich in Hamburg eine eigene Musikszene. Hannes Wader und Reinhard Mey texteten deutsch, es gab die Spaßfraktion mit Otto Waalkes sowie Insterburg & Co. Und Udo Lindenberg verewigte mit dem Panik-Orchester den Musikschuppen in Eppendorf: "Bei Onkel Pö spielt 'ne Rentnerband ..."

Bob Dibbert verdiente mit seinen Bildern, die im "Oxmox" oder in der "Szene" gedruckt wurden und manchmal auch ein Plattencover zierten, "so viel, als wenn ich in der gleichen Zeit im Krankenhaus Nachtwache gehalten hätte". Er zeigte die Bilder Mitarbeitern der Deutschen Presse-Agentur, die damals noch am Mittelweg residierte. "Ich hätte dort auch als Fotograf anfangen können", erinnert er sich.

Doch Hans-Jürgen Dibbert entschied sich nach dem Staatsexamen für den sichereren Arztberuf. Er hatte sich fünf Jahre lang die Nächte um die Ohren geschlagen und mehr als 1000 Fotos geschossen. Von den Dubliners und Baden Powell, den Les Humphries Singers und Rory Gallagher. Und auch Olivia Newton-John, in der Zeitung als "glubschäugige Vorstadt-Schönheit" angekündigt, lächelte in seine Kamera.

Es war eine Kamera, die keine Beliebigkeit duldete. Die Fotos von Bob Dibbert sind im besten Wortsinn Momentaufnahmen. Der angehende Arzt hat stets auf den richtigen Augenblick gewartet. Warten müssen - bei zwölf Bildern pro Film. 40 Jahre später schießen Digitalkameras fünf Bilder in der Sekunde. Die hat er manchmal an einem Abend gemacht. Bob Dibbert hat sich Zeit genommen. Er war geduldig. Und deshalb ist sein Schatz so wertvoll.

Bob Dibbert ist Allgemeinmediziner. "Der typische Hausarzt", sagt er. Zuständig für "Ohrenschmerzen und Zuckerkranke bis hin zu Herzgeschichten". Manchmal, sagt er, komme es vor, dass seine Patienten ihn fragen, ob sie ein Bild von ihm kaufen können. Es passiert sogar, dass sie sich auf einem der Fotos wiedererkennen. Weil sie vor vielen Jahrzehnten auf demselben Konzert waren wie Hans-Jürgen Dibbert, ihr Hausarzt aus Eppendorf.