Christine Neubauer, Dauerbrennerin im deutschen TV, spielt in dem ARD-Zweiteiler “Der kalte Himmel“ die Mutter eines autistischen Kindes.

Es braucht Mut für dieses Outfit oder besser: Selbstbewusstsein. Zum Pressetermin ihres Films "Der kalte Himmel" im Hotel Vier Jahreszeiten erscheint Christine Neubauer mit schwindelerregendem Ausschnitt zu Cowboystiefeln und prallengen Jeans. Sie sieht nicht aus wie stundenlang zurechtgepudert, eher als käme sie eben vom Einkaufen mit den Mädels. Oder vom Frauenstammtisch.

Neubauer ist die wohl präsenteste Schauspielerin im deutschen TV. Keine war 2009 öfter zu sehen, in Zahlen: 10.373 Minuten, was etwa jedem dritten Tag entspricht. Keine Handvoll Frauen leistet ihr im Quotenhimmel Gesellschaft: Veronica Ferres, Maria Furtwängler, Iris Berben. A-Besetzung heißt das in der Branche. Wenn ihr Name im Vorspann steht, ist die Handlung zweitrangig, um nicht zu sagen: piepegal.

Darauf angesprochen reagiert Neubauer dünnhäutig, fast ein wenig patzig. Ihre Filme nimmt sie so ernst wie die Ökobewegung das Biosiegel. Waschkörbeweise Fanpost bekommt sie - und müsste eine Verbalattacke wie die von Regisseurin Doris Dörrie eigentlich mit einem kommentarlosen Lächeln ignorieren. Dörrie hatte mit dem Maschinengewehr gedroht, wenn sie noch einmal einer Fünfzigjährigen dabei zuschauen muss, wie sie als angeblich Dreißigjährige eine Farm in Afrika gründet. Neubauer witterte Tatsachenverdrehung, Missgunst, Neid auf ihren beständigen Erfolg.

Was Dieter Bohlen für das Showgeschäft, ist Christine Neubauer für die fiktionale Unterhaltung: eine Wunderwaffe. Keine für Spezialeinsätze, sondern für die geballte Ladung. Auf den besten Sendeplätzen der Öffentlich-Rechtlichen. Der Grund für den Erfolg? Wie Bohlen verfügt sie über eine Eigenschaft, die in Zeiten von Plastikgesichtern, Posern und Phantomkünstlern als höchste Auszeichnung gilt: Authentizität. "Die Leute wollen sich nicht so gern zum Narren halten lassen - auch nicht, wenn sie einen Film sehen", sagt die 48 Jahre alte Brünette. Sie sagt den Satz nicht arrogant, sondern verwundert darüber, dass diese Regel von so vielen Fernsehmachern nicht begriffen wird.

Glaubhaft sein und bodenständig statt Star-Appeal - auf dieser Formel ist der Neubauer-Erfolg begründet. Sie hat vor der Kamera Kühe gemolken, Holz gehackt, ist Trecker gefahren und hat die Dirndlschürze gehisst. Ihre einst üppigen Kurven schrumpfte sie unter strenger Aufsicht der "Bunte"-Redaktion auf Normalmaße, schrieb anschließend Kochbücher für Gleichgesinnte. Für Vollweiber, die sich in der "Erntehelferin", der "Schokoladenkönigin" oder dem "Moppel-Ich" wiederfanden.

Der Mythos Christine Neubauer hat sich längst verselbstständigt. Sie ist so sehr zur Seichtfilm-Ikone der Primetime geworden, zum Synonym für Zuschauerunterforderung, dass ein paar Details zu ihrer Person gern vergessen werden - gut möglich, dass sie selbst nicht mehr trennen kann zwischen der omnipräsenten Almwiesen-Zenzi und der Frau, die einst in New York Schauspiel studierte, zwei Grimme-Preise gewann - den ersten mit 26 Jahren für die gar nicht so zart anmutende Fernsehserie "Löwengrube" -, und deren momentanes Lieblingswort "Herausforderung" zu sein scheint.

So gesehen kam TeamWorx-Produzent Nico Hofmann ("Die Flucht", "Mogadischu") gerade recht. Lange suchten er und Neubauer nach einem geeigneten Stoff für den ARD-Jahresauftakt, der einerseits so aufwendig daherkommen musste, dass er den Begriff "Eventfernsehen" rechtfertigte, anderseits Neubauers Wunsch nach einer - genau: Herausforderung standhielt. Man fand "Der kalte Himmel". Es ist ein Drama um einen autistischen Jungen in den 60er-Jahren, als man solche Krankheiten noch mit Züchtigung und Ritualen der Teufelsaustreibung bekämpfte. Neubauer spielt die Mutter des Jungen, die sich nicht einschüchtern lässt von Ärzten, Nachbarn und Lehrern, sondern Haus und Hof verpfänden würde, um ihrem Kind zu helfen. Eine Tapferkeitssoldatin in der Bauernschürze.

"Rollen mit Anspruch" nennt Neubauer diese Art Figuren, die sie langsam aber sicher "versaut haben" für möchtegernlustige Ehekomödien - "obwohl ich das leichte Fach natürlich auch sehr mag", fügt sie schlau genug hinzu. Lieber allerdings spielt sie an der Seite von Edgar Selge - wahrlich das Gegenteil eines Ich-drehe-was-mir-in-die-Finger-kommt-Schauspielers - in Friedemann Fromms Kriegsdrama "Hannas Entscheidung" (Ausstrahlung 2011), oder sie gibt für Markus O. Rosenmüller "Die Minensucherin" - wobei sie sich nicht scheut, bei 46 Grad mit fünf Kilo schwerer Minenschutzweste durch den Wüstensand von Namibia zu laufen. "Ich habe Blut geleckt", sagt Neubauer und lacht so befreit auf, dass man sich mit einem Mal fast ein bisschen Sorgen macht um all die patenten Bäuerinnen in den Bergfilmen und die Degeto-Prachtweiber. Wer soll die bloß spielen, wenn Christine Neubauer mal nicht mehr zur Verfügung steht?

Der kalte Himmel Mo/Di 3. und 4.1., ARD 20.15