Nach 50 Jahren als Produzent legt Siggi Loch seinen Lebensbericht vor: “Plattenboss aus Leidenschaft“. Im Januar liest er daraus in Hamburg.

Erfolgreiches Industriellenleben kleidet sich gern in den Hermelin imperialer Macht, zumindest sprachlich. Mogule regieren das Musikbusiness, Kaufhäuser werden von Königen geführt, Barone und Magnaten leiten Öl- und Stahlkonzerne, Zaren und Tycoons das Pressewesen. Siegfried E. Loch, in Deutschland einst der König der Plattenlöwen, legt seine Memoiren jetzt unter dem Titel "Plattenboss aus Leidenschaft" (EdelVita) vor. Der Plattenboss verspricht Machtbewusstsein, das Wort von der Leidenschaft deutet auf eine Passionsgeschichte eigener Art hin.

Loch, der sich seit einigen Jahren auch öffentlich Siggi nennt, feierte in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag und ein halbes Jahrhundert Berufstätigkeit in der Musikbranche. Aus kleinsten Anfängen wurde er mit ihr groß. Es war die ideale Zeit für den, der seine Liebe zur Schallplatte zum Beruf machen wollte.

Ab 1960 belieferte Loch als Vertreter für die Electrola in Hannover mit seinem VW-Käfer die Plattenläden mit frischer Ware. Bald zog er in wichtigerer Position nach Hamburg und wurde nach ein paar weiteren Sprüngen auf der Karriereleiter 1971 Geschäftsführer der wea. Die neu gegründete Firma vertrieb den Katalog der amerikanischen Mutterhäuser Warner, Elektra und Atlantic in Deutschland und nahm auch selbst Künstler unter Vertrag.

Eigentlich stand Siggi Loch mehr auf Jazz, aber es waren die goldenen Zeiten für Beat, Rock und Pop. In den fetten Jahren der Phonoindustrie lernte er sie alle aus der Nähe kennen - Spencer Davis, die Doors und Bette Midler, die Stones und Fleetwood Mac, Carly Simon und Neil Young, Frank Zappa, Prince und Madonna. In seinem Buch findet sich viel Prominenz, doch meist nur als Namedropping.

Auch im einheimischen Repertoire beweist Siggi Loch Spürsinn. Nach seinem Debüt als Produzent mit Klaus Doldinger und Katja Ebstein in den 60er-Jahren entdeckt er Talente wie Westernhagen, Ideal oder Kunze und fördert deren Karrieren maßgeblich.

Den Niedergang der Plattenindustrie in den vergangenen Jahren beschreibt Siggi Loch mit grimmiger Freude an Zahlen, Daten und Fakten. Er selbst war nach steilem Aufstieg Anfang der 90er fachlich frustriert und menschlich enttäuscht aus dem Big Business ausgeschieden. Da hatte der clevere Verhandler, der sich neben seinem Gehalt vertraglich immer Prozente von den Verkaufserlösen garantieren ließ, bereits ein stattliches Vermögen angehäuft. Trotzdem stand bei ihm die Leidenschaft für die Musik immer an erster Stelle. Mit der Gründung des Labels ACT erfüllte sich Loch 1992 einen Lebenstraum: nur noch Jazzplatten veröffentlichen, nur noch dem inneren Kompass folgen. Mit der ihm eigenen Zähigkeit und Marketing-Wucht hat der kinderlose Plattenmann seinem spät geborenen Baby ACT längst einen unübersehbaren Platz im zeitgenössischen Jazz erkämpft.

Liebhaber des Mediums Schallplatte unter besonderer Berücksichtigung seiner Marktentwicklung in Deutschland und der Schurkereien amerikanischer Konzerne werden Lochs Buch mit Gewinn lesen. Eine exemplarische Biografie aber, die zeigen würde, wie das Aufwachsen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs die Generation der heute 70-Jährigen geprägt hat, ist es nicht. Persönliches begrenzt Loch auf ein Minimum. Dass die materiell entbehrungsreichen frühen Jahre dem Flüchtlingskind auch seelisch wenig Nahrung boten, kann man allenfalls zwischen den Zeilen lesen. Dem Vater, einem Gemüsehändler aus Stolp im heutigen Polen, musste Loch nach seiner Heimkehr Schlager auf dem Akkordeon vorspielen. Das genügt dem Sohn fast schon als Mitteilung über den Vater. Auch die Mutter bleibt ein Schemen.

Mit 16 verliebte sich Loch in ein Mädchen. Nur dass sie Liselotte hieß, das ging nicht. "Altbacken" fand er den Namen. Flugs taufte er Liselotte in Sissy um. Bis heute ist sie Frau Loch. Viel mehr als das erfährt man nicht über die Dame seines Herzens, seines ganzen Lebens. Nichts über ihren Einfluss auf ihn, über ihren gemeinsamen gesellschaftlichen Aufstieg zu Millionären mit extrem herrschaftlicher Villa in Berlin-Grunewald, einer beneidenswerten Sammlung zeitgenössischer Kunst und einem florierenden, inhabergeführten Jazzlabel. Nur, dass sie Segeln furchtbar findet. Und dass Sissy offenbar ihr zweiter Vorname ist; Loch schreibt stets "Meine Sissy".

Die Liebe zur Kunst und die Villa in Berlin sind miteinander verflochten. Denn Loch, der noch eher als von Musik von Fotografie besessen war und ab den 60er-Jahren vorzugsweise blaue Kunst zu sammeln begann, finanzierte das Haus durch den Verkauf eines einzigen Gemäldes von Gerhard Richter, das er 1970 für 15 000 D-Mark erworben hatte: "Damals war das schon eine Menge Geld für mich." Der Auktionserlös des Bildes "Vierwaldstätter See" wird jetzt auf 2,5 Millionen Euro geschätzt. Loch nahestehende Menschen munkeln, er arbeite bereits an der Wiederbeschaffung des Werks. Es fehlt ihm ganz offensichtlich in seinem Heim.

Die Unerschrockenheit, mit der Siggi Loch, bislang ohne jede schriftstellerische Ambition, im reifen Alter ein umfangreiches, in vier Monaten am Stehpult frühmorgens ab sechs von ihm selbst verfasstes Buch vorlegt, ist womöglich doch kennzeichnend für seine Generation. Lieber selbst machen, was ein anderer, der es besser könnte, am Ende doch nicht kann. Vielleicht aber wollte Loch, Selfmademan durch und durch, auch hier einfach nur die Kontrolle behalten. Der Erinnerung halfen Terminkalender auf die Sprünge, die er seit 1964 alle aufgehoben hat.

Wenn Siggi Loch, der sich, wie frühere Mitarbeiter bezeugen, nicht zu Unrecht als in beruflichen Dingen "ziemlich gnadenlos" bezeichnet, auf seine alten Tage eine gewisse Milde entwickelt hat, dann vielleicht auch wegen eines Schicksalsschlags. Der Unfalltod des 44-jährigen schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson, den er liebte wie keinen zweiten seiner Schützlinge, hat sein Herz wenn nicht gebrochen, so doch weicher gemacht. Er war ihm wohl der Sohn, den er nie hatte.

Siggi Loch liest aus dem Buch am Mi, 12.1., 20.00, im Jazzclub Stellwerk (im Bahnhof Harburg), 8 Euro