Der Wiener Schriftsteller Doron Rabinovici erzählt in “Andernorts“ von einer bizarren Suche nach Identität, von Familie und Glauben.

Philosophie für Anfänger (wer wäre das nicht?) hatte Hochkonjunktur zuletzt, wir erinnern uns an den Bestseller mit dem Titel "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?", dessen Grammatik uns übel aufstieß, wann immer wir des Covers ansichtig wurden, also ziemlich oft in den vergangenen drei Jahren. Gott sei Dank gibt es jetzt Nachschub auf dem Gebiet der Identitätsbefragung, einen Roman des in Wien lebenden Schriftstellers Doron Rabinovici.

Kein populäres Sachbuch, sondern eine rasant erzählte Familiengeschichte mit unwahrscheinlichen Wendungen und absurden Übertreibungen: Sie heißt "Andernorts", und in keinem Wort bündelt sich das Bestreben des Menschen mehr, eben genau dort nicht sein zu wollen, wo er gerade ist. Und das zu sein, was er gerade nicht ist. Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren und in Österreich aufgewachsen, findet in der eigenen Vita ein passendes Sujet, aus der sich eine Komödie schnitzen lässt, die gängige Klischees und Stereotypen ausstellt: Sie stammen alle aus der jüdischen Welt, die die Diaspora kennt, aber auch den eigenen, erkämpften und stets bedrohten Staat. Heißt also: Hier geht's um die großen Lebensfragen einer bestimmten Menschen- oder Religionsgruppe. Und manches ist doch übertragbar und hat seinen Zug ins Allgemeine. Das macht das Buch lesenswert; hochliterarisch ist es übrigens nicht.

Hauptfigur des stellenweise bizarren Romans, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, ist der Kulturwissenschaftler Ethan Rosen. Der fragt sich geradezu wie in einem Mantra, wer er eigentlich ist: Alle zerren an ihm, dem polyglotten Juden, der von Tagung zu Tagung reist und in verschiedenen Metropolen aufwuchs. Sich vor allem aber immer wieder fragen lassen muss, wohin er gehört. Es ist das alte Muster von Eigen- und Fremdbeschreibung, die miteinander konkurrieren, sich ausschließen und überschneiden, sich spiegeln, sich verändern. Wer bin ich, und wer will ich eigentlich sein? Der israelische Denker sitzt im Flugzeug von Tel Aviv nach Wien natürlich genau neben einem Orthodoxen.

Der steht auf, um raumgreifend mit umgelegtem (ledernem) Gebetsriemen zu beten - das ganze Programm, mit Schaukeln und inbrünstigem Gesang. Rosen ist genervt, er will arbeiten. Und nicht beten, wie er dem Chassiden wutentbrannt entgegenschleudert: Er sei auch Jude, freilich ohne jeden Tag zu beten, er stehe halt nicht auf Leder. Damit ist das stellenweise komische Feld betreten, auf dem es um jüdisches Selbstverständnis geht und ein Familiengeheimnis. Eine Fahrt auf der Achterbahn: Rauf und runter geht es für den griesgrämigen Forscher.

Rosen hat einen Doppelgänger, er trägt den Namen Rudi Klausinger und gleicht Rosen in vielem. Rosen ist in Israel als überaus kritischer Israeli bekannt, in Europa freilich äußert er anderes: "Was er in Wien sagte, musste in Tel Aviv falsch klingen und umgekehrt."

Klausinger vermag auch verschiedene Standpunkte einzunehmen, vor allem aber ist er auf der Suche nach seinem Vater: Im todkranken Felix Rosen, dem Vater Ethans, scheint er ihn gefunden zu haben. Gemeinsam harren die beiden vermeintlichen Brüder am Krankenhausbett des Vaters aus: Seltsam, in Wien hatten sie noch erbittert um dieselbe Professorenstelle konkurriert. In Tel Aviv gerät nun gerade Rosen, der der Fantasie Philip Roths oder Woody Allens entsprungen sein könnte, in einen Taumel aus Eifersucht, Vaterliebe und Glaubensfragen. In einem satirisch aufgeladenen Zwiegespräch mit dem fantastisch anmutenden Rabbi Berkowitsch, einer geistigen Autorität in Israel, entfährt ihm eine Frage, die so berechtigt oder unberechtigt wie nur irgendeine erscheint: "Rabbi, sind Sie total meschugge?"

Denn der Rabbi hat eine sensationelle Theorie: Er will den Messias, auf den die Juden so lange warten, klonen. Er glaubt, dass der Erlöser bereits vor Jahrzehnten gezeugt und nie geboren wurde: Mutter und Vater starben in der Schoah. Also wurde auch der Embryo von den Nazis getötet. Und wo findet der Rabbi die Familie, in deren Genpool er das Material für die Geburt des Messias vermutet? Richtig, in Tel Aviv, es sind die Rosens. Der folgende Gentest macht die Verwirrung komplett: Wer ist hier eigentlich mit wem verwandt?

Doron Rabinovici liest am 12.1. um 20 Uhr im Café Leonar, Grindelhof 59.

Doron Rabinovici: "Andernorts". Suhrkamp. 286 S., 19,90 Euro