Ein neues Buch TV-Archäologin Gisela Graichen und Abendblatt-Redakteur Matthias Gretzschel begibt sich auf die Spuren eines besiegten Volkes.

Aufgestiegen sind sie aus dem mythischen Dunkel der frühen Geschichte. Sie siedelten in einer strategisch günstigen Landschaft, dem späteren Ostpreußen, die den Fernhandel geradezu magisch anzog. Ausgestattet waren sie mit großem Beharrungsvermögen, das sich über viele Jahrhunderte allen Versuchen widersetzte, ihnen das Christentum mit guten Worten oder Gewalt aufzuzwingen. Erst den Rittern des straff organisierten Deutschen Ordens gelang es nach etwa 80 Jahren, das bis dahin zugleich tapfere wie renitente Volk der Prussen 1283 ganz unter ihre Herrschaft zu bringen.

Noch lange nach dieser Eroberung klingen Sprache und heidnische Riten nach. Der Name für Land und Volk wird, nur um ein "e" ergänzt, nie verschwinden, sondern von den Siegern übernommen; so bezeichnet man das alte Kernland der Preußen.

Die Hamburger Fernseh-Archäologin Gisela Graichen und Matthias Gretzschel, Kulturredakteur beim Hamburger Abendblatt, erzählen die Geschichte des Prussenvolkes - und sie zeichnen nach, wie das mühevoll zusammengetragene archäologische Erbe am Ende des Zweiten Weltkriegs erneut unter die Räder der Geschichte kam.

Die 1844 in Königsberg gegründete "Alterthumsgesellschaft Prussia" trug zusammen, was aus der Prussengeschichte noch zu finden war: Knochen, Waffen, Werkzeuge, Steigbügel, Münzen, Fibeln, fein gearbeitete Schmuckstücke aus Gold, Silber, Glas, allein 100 000 Artefakte aus dem begehrten heimischen Bernstein, Münzen, Keramikscherben. Die Sammlung findet damals im Königsberger Schloss ihren Platz. Sie wird noch auf 400 000 Stücke anwachsen. Sichergestellt aus archäologischen Stätten, bis heute im dramatischen Wettlauf mit gewissenlosen Raubgräbern.

Während des Zweiten Weltkriegs versuchen weitsichtige Museums- und Wehrmachtsleute, die Sammlung zu retten. Zu dieser Zeit, 1941, verbindet sich ihr Schicksal mit dem des legendären Bernsteinzimmers, das Wehrmachtssoldaten aus dem Zarenschloss in Puschkin bei St. Petersburg demontiert nach Königsberg gebracht haben. Die Prussensammlung ist ebenso in Kisten verpackt und soll in Sicherheit gebracht werden - in Forts, in Stollen unter dem Königsberger Schloss, nach Westen. Die russischen Sieger nehmen vieles mit nach Osten, wo es bis heute in Archiven und Depots schlummert. Erhebliche Teile sind vermutlich für immer verloren, geplündert, vergessen, verschüttet.

Erst das Tauwetter nach dem Kalten Krieg vereint die Bemühungen, die Sammlung in Teilen wieder zusammenzuführen. Dabei spielt die Hamburger "Zeit"-Stiftung eine große Rolle, wenn es um die Restaurierungsarbeiten geht. Zum 750. Jubiläum von Königsberg konnten etliche Tausend Prussenexponate in einer neuen Dauerausstellung in der heute russischen Stadt ausgestellt werden.

Das kenntnisreiche Buch von Gisela Graichen und Matthias Gretzschel ist ein wichtiges Dokument der schwierigen Bemühungen darum, das historische Gedächtnis wachzuhalten. Und die vielfach verworrenen Nachwehen der Prussenkultur sind spannender zu lesen als ein Krimi.

Gisela Graichen und Matthias Gretzschel: "Die Prussen" - Der Untergang eines Volkes und sein preußisches Erbe. Scherz Verlag, 240 Seiten, 19,95 Euro