In “Man kann nicht klagen“ seziert Thomas Ebermann auf der Bühne des Polittbüros den zwischenmenschlichen Wahnsinn des Büroalltags.

Polittbüro. Der knackige Biss in einen Apfel kann manchmal schon ein Geräusch zu viel sein. Oder das Summen eines Kollegen, der sich im Geiste durch eine ganze Wagner-Oper arbeitet. Dann sind die Nerven gespannt wie Drahtseile, kurz davor, mit einem lauten Knall zu reißen. Doch man beherrscht sich, schluckt den Ärger runter, versucht sich in eine andere Welt zu träumen oder auf die Excel-Tabellen am Rechner zu konzentrieren. Das Büro kann zum Gefängnis werden, die Kollegen mutieren zu Quälgeistern, Fluchtmöglichkeiten gibt es nicht.

Diesen Mikrokosmos, in dem Menschen sich gegenseitig aushalten müssen, hat Walter E. Richartz in seinem 1976 erschienenen "Büroroman" satirisch auf die Schippe genommen. Drei Personen sitzen in Zimmer 10/28 der Firma DRAMAG: Herr Wilhelm Kuhlwein, seit 23 Jahren unverzichtbarer Teil der Firma, Frau Elfriede Klatt, auch schon 20 Jahre in DRAMAG-Diensten und Fräulein Mauler als das junge Element. Zwischen Schreibtischunterlage, Notizzettelkästchen, Locher und Stifthalter erfüllen sie ihren monotonen Job mit Routine. Die Gespräche drehen sich um Urlaub und Feierabend, man tauscht sich darüber aus, was der Flurfunk meldet und mault über die Qualität des Kantinenessens.

So ein Text ist eine Steilvorlage für Regisseure und Schauspieler. Thomas Ebermann, Initiator der Vers- und Kaderschmiede, bringt ihn als szenische Lesung im Polittbüro auf die Bühne. "Man kann nicht klagen" heißt der Abend, ein Titel, der die Befindlichkeit dieser Bürogemeinschaft eindeutig auf den Punkt bringt.

In Ebermanns Inszenierung spielt Michael Weber, früher am Deutschen Schauspielhaus, jetzt am Theater Köln engagiert, den Herrn Kuhlwein. Eine wortkarge, depressive Figur, die jeden Tag zur selben Zeit seine Apfelsine nach einem festgelegten Ritual schält, hasserfüllt von Frau Klatt (Gilla Cremer) beobachtet. Die beiden hatten mal eine kurze Affäre, aber die liegt auch schon 19 Jahre zurück. Fräulein Mauler (Yuri Beckers) träumt von einer anderen Zukunft, meilenweit entfernt von diesen beiden Gestrandeten, doch wenn sie eine Bemerkung macht, wird sie von Klatt und Kuhlwein sofort gedeckelt.

Zum Personal des Stücks gehören auch Frau Klepzig (Jessica Kosmalla) und Herr Maier (Jens Rachuth), zwei Nervensägen, die ständig ins Büro 28/10 hineinplatzen. "Maier mit ai wie ia", stellt Letzterer sich vor und lacht sich jedes Mal über diesen Rohrkrepierer-Gag halb tot. Am Bühnenrand fungiert Autor und Schauspieler Harry Rowohlt als Erzähler, denn Ebermann hat lange Prosastrecken aus dem Roman in seine Inszenierung integriert.

Entdeckt hat der frühere Grünen-Abgeordnete und Publizist den "Büroroman" erst vor eineinhalb Jahren: "Richartz gehört zu Unrecht zu den vergessenen Schriftstellern. Der 'Büroroman' ist ein außergewöhnliches Stück Prosa, das es verdient, wieder ans Licht geholt zu werden", sagt Ebermann. Der Roman spielt zur Zeit des Wirtschaftwunders. "Vollbeschäftigung kann auch eine Drohung sein", erklärt er. "Man kann darin genauso kaputtgehen wie in Zeiten großer Arbeitslosigkeit."

Walter E. Richartz war eigentlich promovierter Chemiker. Er wurde 1927 in Hamburg geboren, studierte an der hiesigen Universität und arbeitete dort später als wissenschaftlicher Assistent. Nach einem dreijährigen USA-Aufenthalt kehrte er 1960 nach Deutschland zurück und arbeitete in einem chemischen Forschungslabor.

Seit 1961 im Rowohlt-Verlag sein Buch "Die "Jazz Diskothek" erschien, veröffentlichte Richartz bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1980 eine ganze Reihe von Romanen und Sachbüchern. In seinen Romanen beschreibt er den ihm vertrauten Wissenschaftsbetrieb und den Büroalltag.

Mit der heutigen Wirklichkeit hat diese Welt auf den ersten Blick nichts zu tun. Damals war immer Zeit für ein Schwätzchen, das Arbeitsvolumen war bei Weitem nicht so hoch wie heute, E-Mails, Handy, Twitter und Computer konnten nicht ablenken oder ständig stören. Doch damals wie heute sind Büros auch ein Tummelplatz für Zwangsneurotiker und Orte, wo jeder versucht, den anderen fertigzumachen. Walter E. Richartz hat dieses Phänomen schon vor mehr als 30 Jahren mit scharfem Blick beobachtet. Heute nennt man das Mobbing.

Man kann nicht klagen Polittbüro (U/S Hauptbahnhof), Steindamm 45, Karten 15,-, weitere Vorstellung am 24.1., T. 28 05 54 67, Internet: www.polittbuero.de