Torkild Hinrichsen ist seit drei Jahren Direktor des Altonaer Museums. 2010 wurde er zur Galionsfigur des Hamburger Kulturprotests. Ein Porträt.

Hamburg. In den vergangenen fünf Monaten ist er nicht oft dazu gekommen, hier Platz zu nehmen, doch von Zeit zu Zeit verlässt Torkild Hinrichsen sein Direktorenbüro und geht hinüber zur Vierländer Kate. Sie stammt aus dem Jahr 1745 und stand früher in Kirchwerder. Vor einem halben Jahrhundert wurde sie ins Altonaer Museum versetzt, wo sie nun als Haus im Haus ein Restaurant beherbergt. Hier setzt er sich an den Tisch Nummer acht in der rechten Ecke und trinkt einen Pott Kaffee oder ein Glas Weißwein. Dann hat er die Wand im Rücken und kann den ganzen Raum überblicken.

An diesem kalten Dezembernachmittag lässt sich der Direktor einen Kaffee bringen und erzählt, wie das alte Bauernhaus beim großen Museumsbrand am 30. Mai 1980 auf wundersame Weise gerettet wurde: Durch das Löschwasser der Feuerwehr hatte sich die darüber hängende Gipsdecke voll gesaugt, war aus der Verankerung gerissen, herabgestürzt und hatte sich wie ein nasser Lappen auf die so leicht entzündliche Kate gelegt. "Nachdem der Brand gelöscht war, habe ich mit einer Spitzhacke den Eingang freigelegt, bin reingekrochen und habe erleichtert festgestellt, dass die Kate fast unbeschädigt war", erinnert sich Hinrichsen - "danach habe ich erst einmal mit einem Kollegen die Biervorräte aus dem aufgetauten Kühlschrank leer getrunken."

Torkild Hinrichsen hat dem Protest gegen die beabsichtigte Schließung des Altonaer Museums ein Gesicht gegeben, und zwar ein unverwechselbares. Dabei wirkt er nicht unbedingt wie ein Museumsdirektor. Von Dresscodes hat er nie etwas gehalten. Wenn er mal Zeit zum Einkaufen findet, nimmt er von derselben Hosensorte immer gleich drei Stück, mindestens. Seine Hosen sind immer hell, das erspart ihm schwierige Entscheidungsfindungen beim Blick in den Kleiderschrank. Er trägt einen üppigen Vollbart und langes Haar, das sich wohl auch dann nicht bändigen ließe, wenn er sich darum bemühen würde. Sein Blick ist hellwach, die Augen schauen freundlich, manchmal recht ernst, oft belustigt und nicht selten auch spöttisch in eine Welt, die ihm in den vergangenen Monaten angesichts der hiesigen Kulturpolitik immer absurder erschienen ist.

Torkild Hinrichsen wurde 1948 in Eimsbüttel geboren, aufgewachsen ist er in einem der ehemaligen Offiziershäuser an der Palmaille, mitten in Altona. Bei Regen und kaltem Wetter ging die Mutter mit ihm und seinem drei Jahre jüngeren Bruder oft im den Gängen des Altonaer Rathauses spazieren oder führte die Kinder in das seit 1953 wieder einigermaßen intakte Altonaer Museum. Die Mutter war Dänin, der Vater überzeugter Schleswig-Holsteiner. Zu Hause wurde nur Dänisch gesprochen. Als Hinrichsen in die Schule kam, sprach er kein Wort Deutsch. "Da habe ich eben 13 Jahre lang meist geschwiegen", sagt er - "das kann man sich heute kaum noch vorstellen."

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Sein Vater war Architekt und erwartete von seinem ältesten Sohn, dass auch er Architektur studieren würde. "Das war ein unseliger Gedanke, weil ich zwar zeichnen, aber nicht rechnen konnte", sagt Hinrichsen, der sich dann für ein Zeichenstudium an der HfbK bewarb. Als er 1967 anfangen wollte, war dort die Revolution ausgebrochen. Die Studenten saßen alle auf dem Fußboden und diskutierten. Hinrichsen konnte damit nichts anfangen, er wollte zeichnen, kam aber gar nicht dazu. So wechselte er an die Uni, um Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie zu studieren. Promoviert hat er über mittelalterliche Grabsteine. Mit einer Arbeit von 4000 Seiten in 13 Bänden. "Am Ende bin ich Selfmade-Kulturhistoriker und -Volkskundler geworden", sagt er.

1978 kam Torkild Hinrichsen zum ersten Mal ans Altonaer Museum, als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Beim zweiten Mal - nach einem Gastspiel beim Dortmunder Museum für Kunst- und Kulturgeschichte - wurde er 1986 dessen stellvertretender Direktor und Hauptkustos, seit 2007 ist er Direktor des Hauses. "Ich hatte mir das ein wenig anders vorgestellt: Eigentlich wollte ich etwas Neues aufbauen, jetzt ging es darum, den Abbruch zu verhindern", sagt er und fügt hinzu: "Dank der grandiosen negativen Reklame der vergangenen Monate sind wir gerade das bekannteste Museum überhaupt. Wir hatten in acht Wochen 5000 Presseartikel, das muss man erst mal hinkriegen."

Bereits im Mai hatte der Direktor in einem Abendblatt-Interview vor der drohenden Schließung des Museums gewarnt und die damalige Kultursenatorin erzürnt. Er wurde öffentlich vorgeführt, sollte aber recht behalten, denn im Herbst kündigte der neue Senator dann tatsächlich die Schließung an. Hunderte gingen für das Museum auf die Straße, Zigtausende unterschrieben eine Protestresolution. Und Hinrichsen fand deutliche Worte, wurde abgemahnt, ließ sich aber den Mund nicht verbieten. Auf Vorwürfe reagierte er mit subversivem Witz. Er wurde zur Ikone des Widerstands und zum umstrittensten und streitbarsten Museumsdirektor Hamburgs - weil man seinem Haus vorwarf, das verschnarchteste der Stadt zu sein. Wie hat er diese Zeit erlebt? Ein tiefer Schluck aus dem inzwischen erkalteten Kaffeepott, ein nachdenklicher Blick, dann sagt Hinrichsen: "Positiv. Ich habe angenehme Leute kennengelernt und viel Unterstützung erfahren. Wir haben uns in kürzester Zeit als Widerstandsnest organisiert."

Manchmal, sagt er schmunzelnd, habe er an seine Großmutter denken müssen, die ihre Welt alttestamentarisch in Gut und Böse einteilte. "Sie wusste genau, dass die Bösen ihre Strafe bekommen würden. Darauf hat sie mit großer Geduld gewartet, und irgendwann kam die Strafe. Wenn man sie dann fragte, was derjenige getan habe, sagte sie: 'Das weiß ich nicht mehr, aber er gehörte jedenfalls zu den Bösen.'"

Einen Etappensieg hat Torkild Hinrichsen errungen: Die Schließung des Museums ist vom Tisch. Doch der Direktor weiß, dass die eigentliche Bewährungsprobe noch vor ihm liegt: das Haus mit knapperen Mitteln in die Zukunft zu führen. "Was mich dabei antreibt, ist meine große Neugier", sagt er: "Ich bin auf der Suche nach dem Geheimnis, das in den Dingen wohnt. Aber ich sammle die Dinge nicht um ihrer selbst willen, sondern als Zeugnis von Menschen, die nicht die Möglichkeit gehabt haben sich zu artikulieren. Ich bringe die stummen Dinge zum Sprechen." Kraft dafür sammelt er in Kirchwerder, der ursprünglichen Heimat der Museumskate, in der er gerade sitzt. Dort lebt er mit seiner Frau, einer Sprachtherapeutin, seiner Tochter, die in Hannover Tiermedizin studiert, und zwei Jagdhunden in dem ehemaligen Bahnhofsgebäude, das die Familie natürlich selbst restauriert hat.

"Eine merkwürdige Erfahrung dieses Herbstes war für mich, dass ich mich etwas zu tun getraut habe, was ich eigentlich schon 1968 hätte tun sollen", sagt er nachdenklich, "jetzt habe ich keine Hemmungen mehr. Jetzt tue und sage ich offen, was ich für richtig halte. Und das ist nicht nur gut für die Sache. Ich spüre, dass es auch mir gut tut."

Vielleicht hat man Torkild Hinrichsen in Hamburg unterschätzt, diesen Mann, der in kurzer Zeit zu einer Galionsfigur des Protests wurde. "Das könnte so gewesen sein", sagt er und fügt hinzu: "Mit Galionsfiguren ist das so eine Sache: Die sind manchmal noch da, wenn das Schiff längst untergegangen oder abgewrackt ist. Wir haben ja eine ganze Sammlung davon im Haus."