Wie es klang, wenn der Doge von Venedig vor 250 Jahren der Christmesse lauschte

Weihnachten in Venedig, Weihnachten in einer der prachtvollsten Kirchen der Christenheit. San Marco war der spirituelle Mittelpunkt der stolzen Stadtrepublik in der Lagune und der Ort der Mitternachtsmesse. Von zehn Uhr abends an wurde aus dem erwartungsvollen Heiligabend heraus in die von Hunderten Kerzen taghell illuminierte Weihnachtsnacht hineingefeiert. Eine Feier von ganz besonderem Glanz war das, die laut Apostolischem Privileg nicht einmal den Glockenschlag zur Mitternacht abwarten musste, der vom Campanile dröhnte.

Der San-Marco-Kapellmeister schickte die Weihnachtsmusik aus Russland

Wie eine solche Weihnachtsmesse in der Endphase der Republik geklungen haben könnte, das ist jetzt dokumentiert. "Christmas at San Marco" heißt die CD, die Vocal Concert Dresden und das Dresdner Instrumental Concert aufgenommen haben. Sie präsentiert Musik, die der venezianische Kapellmeister Baldassare Galuppi für das Weihnachtsfest des Jahres 1767 komponiert hat - in Moskau, wohin er auf Wunsch von Katharina der Großen gereist war mit der strikten Maßgabe, die Weihnachtsmusiken für San Marco auch aus der Ferne zu liefern.

Galuppi war ein venezianisches Eigengewächs, geboren auf der Insel Burano (was ihm den Beinamen "Il Buranello" eintrug). Er wurde zu seiner Zeit mit internationalen Stars wie dem Bergedorfer Komponisten Johann Adolf Hasse verglichen, und die Weihnachtsmesse von 1767 beweist eine leichthändige Meisterschaft, die längst die formale Enge des Barock verlassen hat und bereits unüberhörbar auf die Meister des neuen Stils hinweist. Wolfgang Amadeus Mozart sollte nur vier Jahre später, gerade 15 Jahre alt, in Venedig Station machen.

Die Weihnachtsmesse in San Marco begann gegen 22 Uhr an Heiligabend mit dem Einzug des Dogen in die Staatskirche, sie endete um halb fünf in der Frühe, wenn der Doge seinen Heimweg in den benachbarten Palast antrat. Die Musik steuerte nicht nur der Kapellmeister des Doms bei - das "Kyrie" schrieb traditionell der erste Organist, in diesem Fall Ferdinando Bertoni, und der Maestro di coro, Gaetano Latilla.

Sie hatten einen großartigen musikalischen Apparat zur Hand: 24 Sänger und ein Orchester, in dem doppelt besetzte Flöten, Oboen, Trompeten und Hörner und 20 Streicher spielten. Ihr Klang galt den auswärtigen Besuchern Venedigs als einzigartig in der Welt.

Die Interpretation der Dresdner Musiker lässt den Schwung der neuen musikalischen Epoche lebendig werden, sie überwindet alle irdische Schwere und lässt die Zuhörer den mit Goldmosaiken geschmückten altehrwürdigen Kirchenraum imaginieren. Bedauerlich ist einzig, dass die Aufnahme nicht in der großartigen Akustik der Basilica di San Marco selbst entstanden ist, sondern in der Lukaskirche in Dresden. Was an dieser Stelle aber auch die einzige Kritik sein soll, denn die fünf Solisten (Gemma Bertagnolli, Valentina Varriale, Mary-Ellen Nesi, Julien Behr und Clemens Heinrich) harmonieren vorzüglich mit Chor und Orchester.

Und die eingängigen Werke selbst sind wunderbare Entdeckungen, die den allgegenwärtigen und oft schon überhörten Kanon unserer Weihnachtsmusiken als Messe-Vertonung zwar nur wenig weihnachtlich bereichern, dafür aber die Aufmerksamkeit auf eine vergessene Nische zwischen Barock und Klassik lenken, die weit mehr zu bieten hat als nur das Auffüllen einer musikalischen Wissenslücke.

Christmas at San Marco - Venezianische Weihnachten: Vocal Concert und Instrumental Concert Dresden, Ltg. Peter Kopp (Berlin Classics)