Die gelungene Fusion aus Musik und Theater von Regisseur David Marton: “Die Krönung der Poppea“ spielt heute im Thalia-Theater.

Thalia-Theater. Die Diskussion, ob nun das Wort oder die Musik auf der Opernbühne Vorrang genießen sollen, hält sich, seit es das Genre gibt. Manch einer staunte da nicht schlecht, als vor einigen Wochen die Premiere von Claudio Monteverdis Spätrenaissance-Oper "L'incoronazione di Poppea" ("Die Krönung der Poppea") in der Regie von David Marton über die Sprechtheater-Bühne des Thalia-Theaters ging. Und noch mehr darüber, wie hinreißend die Verbindung aus scheinbar Unversöhnlichem funktioniert.

Das korrupte alte Rom, das wir hier sehen, erinnert in seinem zusammengewürfelten Mobiliar-Mix an manchen Abend an der Berliner Volksbühne. In jeder Ecke steht ein kleiner Szenenaufbau. Die obligatorische Bettstatt des Kaisers Nero und seine Leier fehlen nicht. Wenn nötig, wird schon mal eine Badewanne hereingeschoben. Dazwischen gesellen sich ein Flügel, Keyboards und eine E-Orgel.

Nero (grandios wahnsinnig: Bruno Cathomas) strolcht im Kaisermantel durch die weiße Treppenlandschaft. Eines der größten Scheusale der Welthistorie - sadistisch, maßlos, raffgierig und cholerisch. Die eigene Mutter meuchelte er, die erste Gattin Octavia (elegantes Biest: Maja Schöne) wird dem gleichen Schicksal anheimfallen. Doch noch zickt sich das Paar aufs Herrlichste an. Zankapfel ist unter anderem Hofdenker Seneca (Hans Kremer), den der neidblasse Hobbydichter Nero aus dem Verkehr ziehen will.

In dem Luder Poppea (Yelena Kuljic) begegnet Nero schließlich einer Frau, die ebenso kalt, berechnend und machtbewusst durchs Leben geht wie er selbst. Eine, die ganz nach oben will. Wenn es sein muss, über Leichen. Wie die beiden einander sinnlich umgarnen, ist eine köstliche Schau. Kuljic ist mit ihrer schönen dunklen, am Jazz geschmirgelten Stimme eine Idealbesetzung für diesen seltsamen Bühnenzwitter. In etlichen gemeinsamen Arbeiten ist sie zur Marton-Diva herangewachsen.

Musikalisch kann sich der Besucher auf einiges einstellen, nur nicht allein auf Monteverdi. Beethoven steht da neben einer Schlager-Melodie, Chanson neben Wagner. Die Musiker glänzen mit Lässigkeit jenseits der Konvention, allen voran ein Keyboarder, der in aberwitzigem Tempo hier eine Passage, dort einige wuchtige Akkorde dazuimprovisiert. Alle Musiker stehen auf der Bühne und spielen mit. Die Schauspieler singen, und auch das tun sie beachtlich.

David Marton fuhr selbst lange in der Spur, eine klassische Pianistenlaufbahn einzuschlagen. Irgendwann entwickelt er sich über das Dirigieren zum Bühnenmusiker weiter. Unschwer zu erkennen, dass Marton sein Regiehandwerk bei den Vorzeigeexperimentatoren Christoph Marthaler und Frank Castorf erlernt hat, womit wir wieder zielsicher bei der Berliner Volksbühne wären. Hier wurde Marton zu einem Experten für die Kunst, aus klassischen Opernstoffen ungewöhnliche Theaterabende zu entwickeln.

Er zerlegt die Werke in ihre Versatzstücke und bastelt sie als clevere Collage zusammen. In "Die Krönung der Poppea", die heute erneut und noch weitere zwei Male im Thalia-Theater zu sehen ist, erzählt der gebürtige Ungar weder den Roman noch die Oper, sondern schafft eine Synthese.

Marton geht es um den Geist hinter den Noten. Ohne Scheu vor dem Eingriff oder gar der Subversion, aber stets mit Respekt vor der Tradition. Für ihn zählt allein, ob ein Abend am Ende funktioniert. Der Weg ist zweitrangig. Seine Ideen in der "Krönung der Poppea" überzeugen mit Witz und Geist. Dass er die eigentlich sakrosankten Übertitel zu ironischen Kommentaren oder inneren Monologen der Figuren stilisiert, zeugt von Originalität. Die Textschnipsel hat Marton unter anderem Dezso Kosztolányis Roman "Nero, der blutige Dichter" entnommen. Das Buch legt wie auch die Inszenierung den Fokus auf einen Herrscher, der an seinem Unvermögen zerbricht, etwas künstlerisch Großes zu schaffen. Aus Verzweiflung darüber wird er zum Tyrannen.

Die Aufführung verheimlicht ihre Mittel und die Umstände ihrer Entstehung nicht und gewinnt daraus einen besonderen Reiz. Marton rettet damit die Musik, die auch zu ihrer Zeit die Menschen berührt hat, auf raffinierte, kluge Weise in die Gegenwart.

Die Krönung der Poppea heute, 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstig), Alstertor, Karten 9,50 bis 48,- unter T. 32 81 44 44 oder unter www.thalia-theater.de