Saleem Abboud Ashkar spielt heute mit dem NDR Sinfonieorchester das Klavierkonzert a-Moll von Robert Schumann.

Laeiszhalle. Natürlich ist das eine schöne Geschichte, natürlich muss man sie erzählen, und natürlich will die Hauptperson darin nicht, dass von ihr nachher wieder nur diese Geschichte in der Zeitung steht. Die Geschichte geht so. Ein Palästinenser und seine Frau leben in Nazareth. Die Frau war als Kind auf einer französischen Klosterschule, die Nonnen haben gesungen und Klavier gespielt. Irgendwie hat die Frau den Klang des Instruments immer noch im Ohr. Mann, sagt sie, kauf mir ein Klavier. Sie kann nicht spielen, sie will es nur zur Erinnerung an ihre Kindheit. Der Mann liebt seine Frau und tauscht einen Pick-up gegen ein gebrauchtes Klavier. Es ist das einzige in Nazareth.

Jahre später bekommen die beiden einen Sohn. Der schleicht immer wieder um den schwarzen Kasten mit den Tasten herum. Aber wie spielt man darauf? Eines Abends während des Libanonkriegs klopft es an der Tür der kleinen Familie, ein Mann tritt ein, ein palästinensischer Flüchtling aus dem Libanon, den die Israelis ins Land gelassen haben. Er stellt sich als weitläufiger Verwandter vor. Früher, in Deutschland, habe er Kunst studiert. Und er spielt Klavier. Die Familie nimmt ihn bei sich auf. Dem Sohn, inzwischen sechs Jahre alt, bringt der Flüchtling alles bei, was er kann, er lehrt ihn auch Notenlesen. "Ab da wuchs meine Obsession mit dem Instrument", sagt Saleem Abboud Ashkar. Heute Abend führt er als Solist mit dem NDR Sinfonieorchester Schumanns wunderbares Klavierkonzert a-Moll auf.

Das einzige Klavier in Nazareth. Und ein Kind, das beschließt, Pianist zu werden, noch ehe es einen einzigen live auf einer Bühne erlebt hat. Wie auch? Die Anschauung aus dem Fernsehen und von Rundfunksendungen muss genügen. Die Eltern, um bestmögliche Ausbildung seiner Musikalität bemüht, schicken den 13-Jährigen nach London. "Das erste Essen dort werde ich nie vergessen", sagt er und schüttelt sich noch gut 20 Jahre später. "Ich kam aus dieser herrlichen mediterranen Küche, und da gab es irgendein geschmackloses, zähes Stück Fleisch mit Minzsoße." Nicht nur wegen des kulinarischen Kulturschocks hielt das Kind es nicht lange in London aus. Nach einem halben Jahr ging Saleem nach Israel zurück und lernte, einziger Palästinenser auf einem jüdischen Internat in Jerusalem, so viel wie möglich über Musik.

Wer ihn spielen hört, würde bei geschlossenen Augen nie darauf kommen, dass da ein arabisch-israelischer Musiker wirkt, dessen Weg zur abendländischen Konzertmusik so verschlungen und von Irrtümern und Fehlern gesäumt ist wie der Lebensweg der Protagonisten in einer guten orientalischen Geschichte. Saleem Abboud Ashkar spielt absolut akzentfrei Schumann, mit glasklarem, dabei weichem, fast sanftem Anschlag und einem wachen Sinn für die Gesanglichkeit und die lauernde Kraft dieser fast schon unverschämt schönen Musik.

Nach der Generalprobe gestern, die Musiker waren schon gegangen, die Orchesterwarte mit dem Heraustragen der Notenpulte und Stühle beschäftigt, nahm der Dirigent Christoph Eschenbach den Solisten noch für einen Moment beiseite und ließ sich zwei Passagen vorspielen. "Das ist toll, wie er das macht", schwärmte der Pianist hinterher. "Er zeigt Probleme, zwingt einem aber nie eine Lösung auf. Dass er selbst Pianist ist und das Stück so gut aus dieser Perspektive kennt, wirkt auf mich nicht einengend, sondern befreiend."

Saleem Abboud Ashkar hat als 17-Jähriger unter Zubin Mehta mit dem ersten Tschaikowsky-Klavierkonzert debütiert, mit 22 gab er seinen Einstand in der Carnegie Hall in New York unter Daniel Barenboim, der seine Hände früh schützend über die Karriere dieses bemerkenswerten Künstlers legte. Nur die Plattenlaufbahn stockt. Nach dem Debüt 2006 für die EMI, das in eine Zeit des Umbruchs in der Firma fiel, wartet Saleem auf das richtige Angebot, um Platten nach seinen Vorstellungen aufnehmen zu können. Für die große internationale Karriere wirkt der Name umständlich. Dafür klingt er wie Musik, vor allem, wenn er selbst ihn ausspricht.

NDR Sinfonieorchester & Saleem Abboud Ashkar, heute, 20.00 Laeiszhalle (U Gänsemarkt) Johannes-Brahms-Platz, Restkarten