Aus Fosses “Tod in Theben“ wird bei Angela Richter “Der Ödipus Antigone Komplex“

Die Blindheit des Menschen für sein Schicksal und seine Zeit fasst der Ödipus-Mythos in eine zeitlos gültige Fabel. Kaum zufällig erfährt die antike Sophokles-Tragödie über den König von Theben, der seinen Vater erschlug und seine Mutter heiratete, ein Revival an deutschen Bühnen. Am Thalia-Theater ist Dimiter Gotscheffs Inszenierung von Friedrich Hölderlins Fassung "Ödipus, Tyrann" zu sehen. An der Kirchenallee gibt das Frankfurter Schauspiel am 18. Dezember ein Solidaritätsgastspiel mit Michael Thalheimers Aufführung von "Ödipus/Antigone". Zwei Abende davor hat außerdem Angela Richters Adaption "Der Ödipus Antigone Komplex" Kampnagel-Premiere. Ihre Hamburger Neuinszenierung lässt erwarten, dass Richter die Tragödie von den hohen Kothurnen herabholt und auf den Boden der realen Tatsachen von heute stellt.

Die Regisseurin hatte im Sommer 2010 Jon Fosses Kurzfassung der Sophokles-Dramen "König Ödipus", "Ödipus auf Kolonos" und "Antigone" für das Young Director's Project bei den Salzburger Festspielen inszeniert - und war damit in den Augen der Kritik gescheitert. Nach der auch für sie selbst enttäuschenden Premiere hat Angela Richter die Aufführung verändert und richtet sie für Hamburg neu ein. Zwar kein antikes, aber immerhin doch das klassische Beispiel für ein "work in progress". Mit der Billigung des Dramatikers Jon Fosse darf sie sich des Stücks und Stoffs frei bedienen und sich beides mit ihrer eingeschworenen Schauspielergruppe zu eigen machen.

Richter nähert sich also dem "Ödipus" nicht nach konventionellen Regie-Maßstäben und "akademischen" Vorstellungen von einer Theater-Antike an, die nur falsch sein können, weil sie lediglich fragmentarisch überliefert ist. Sie begegnet vielmehr dem Stück mit ihrem heutigen Blick. Richter und die Akteure verschweigen nicht ihr blindes Herumtappen in der alten Sage. Aber anstatt vorzugeben, sie wüssten, wie sie auf der Bühne zu funktionieren habe, begeben sie sich auf die Suche nach den Anknüpfungspunkten in der persönlichen Erfahrung.

Nur ein Beispiel: Die königlichen Eltern des Ödipus holten sich einen Orakelspruch über ihren Sohn, setzten ihr Kind daraufhin aus und beschworen so das Unglück herauf, das sie zu verhindern suchten. Auch Ödipus fragte die delphische Sybille um Rat. Angela Richter und die Schauspieler zögerten nicht, es dem König nachzutun. Natürlich nicht in Delphi. Sie gingen zu einer Hellseherin. Der Regisseurin hat die weise Frau einen großen Salzburger Erfolg prophezeit.

Die Lehre aus dem Drama und der Orakel-Geschichte: Die Menschen müssen damit leben, blind für ihr Schicksal und die Wahrheit zu sein.

Der Ödipus Antigone Komplex Do 16.12., 21.00, Kampnagel (Bus 172/173 Jarrestr.), Jarrestr. 20-24, Karten 12,-/8,- T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de