Silvester, die jährliche Nemesis des Planungschaoten

Das Jahresende naht und mit ihm die alljährlich gleiche Frage: Was mache ich zu Silvester, mit wem, warum und vor allem wo? Eine schwierige Entscheidung, denn zum einen ist die Auswahl groß, zum anderen unterscheiden sich die Denkschulen beträchtlich.

Das beginnt schon mit der Frage: Brot oder Böller? Mein Gewissen rät zur Spende, der Spieltrieb zum Explosivkörper. Wann sonst im Jahr darf ich schon völlig ungestraft mich und meine Mitmenschen in Gefahr bringen, der Frühverrentung wegen Verlust des Hörvermögens Vorschub leisten und nebenbei noch alle möglichen Dinge kaputt machen? Das Spiel mit dem Feuer gehört für mich jedenfalls zu Silvester wie Laurel zu Hardy und Ernie zu Bert. Und das gute Gewissen kann ich mir ja erkaufen, indem ich das für bunte Lichter und laute Knalls veranschlagte Budget zumindest zur Hälfte einer wohltätigen Einrichtung zukommen lasse. Hm ja, der gesellschaftlichen Verantwortung ist mit der Überweisung einiger Euro wohl Genüge getan. Die Experimentreihe "Der kleine Mann im Ohr spielt Flöte - Angewandte Knalltraumaforschung" kann fortgesetzt werden.

Doch das innere Streitgespräch ist noch lange nicht zu Ende. Wie will ich denn jetzt feiern: mit einer sich gemütlich ums Fondue scharenden Klönschnack-Fraktion? Oder doch lieber mit dem gelebten Ausnahmezustand, der in Großgruppenstärke den Ausklang des Jahres zum ganz privaten Ragnarök geraten lässt? Gute Stube oder schlechte Gesellschaft?

Marodierend durch die Gegend zu ziehen hat zwar einen gewissen anarchischen Reiz, jedoch meldet sich die gutbürgerliche Faulheit zu Wort. Sie gibt zu bedenken, dass Jahreswechsel und niedrige Temperaturen gemeinhin zusammenfallen. Ein auf Körperwärme temperierter Rückzugsraum, der eine Auswahl fester und flüssiger Leckereien aufweist, wäre also angenehm.

"Papperlapapp, wir gehen einfach auf den Kiez, da sind viele Menschen, da ist's warm! Und die Klubs und Buden haben so viel zu essen und zu trinken, die verkaufen das!" Welcher innere Dämon sich da auch melden mag, die Verdammung in die hinterletzte Ecke des Bewusstseins hat er sich damit redlich verdient. Kiez und Hafen sind zu Silvester eigentlich nur komplett schmerzbefreiten, tauben und zutiefst phlegmatischen Menschen zu empfehlen. Da ich mich aber keiner der Kategorien zurechne, mich über Kinkerlitzchen wie Glühwein im Ärmel und Böller in der Kapuze durchaus ebenso lautstark wie nachdrücklich aufregen kann, fällt das ganz große Getümmel definitiv aus. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Immer noch hat sich keine Erkenntnis eingestellt, außer, dass mich die Extreme nicht reizen. Ich brauche einen Mittelweg.

Während ich immer noch grübele, flattert eine E-Mail in den Briefkasten. Eine Gruppe langjähriger Freunde denkt ähnlich wie ich und fährt in den Schwarzwald. Gezielte Landflucht, um die Alemannen Mores zu lehren, ihnen zu zeigen, wie die Norddeutschen zu feiern pflegen? Eine echte Alternative.

Der Gedanke ans pastorale Idyll der verschneiten Wipfel und die Gelegenheit, alte Freunde wiederzusehen, sind verlockend. Die Tatsache, dass ich beim letzten derartigen Ausflug bereits den ersten Spaziergang mit einem Außenbandriss beendet habe, lassen mich dann doch noch kurz zögern. Andererseits gibt es Krücken ja auch in sehr modischen Farben, rodeln war ich mangels vernünftiger Abhänge in der norddeutschen Tiefebene auch schon ewig nicht mehr und überhaupt bin ich schon längst zu alt, um jung zu sterben.

Tschüs Hamburg, wir sehen uns nächstes Jahr!

Für Zuhausebleiber: Mojo Kickstart Fr 31.12., 22.00, Gruenspan (S Reeperbahn), Große Freiheit 58, Karten zu 15,- in den bekannten Vorverkaufstellen; www.mojo.de