Das Schweizer Indie-Kollektiv We Invented Paris tritt in Klamottenläden auf und übernachtet per “Couch Surfing“ in fremden Wohnzimmern.

Hamburg. Die Schlafsäcke haben sie immer dabei, so auch an diesem Wochenende in Hamburg. Für das Konzert am Sonnabend kommen die Jungs bei einer Freundin der Band in der Sternschanze unter. Die Wohnung ist aufgeräumt und in alternativem Schick eingerichtet. Ein Bett auf Bierkästen und Tische aus geklauten Straßenschildern sucht man vergebens. "Endlich mal eine Mädchen-WG", sagt Stefan erleichtert. Der Schlagzeuger hat nicht nur gute Erinnerungen an die abgerissenen Butzen, in denen We Invented Paris auf ihrer "Tour d'Europe" schon geschlafen haben.

Das Baseler Indie-Kollektiv verfolgt ein besonderes Konzept: Ihre Bus-Tour organisieren Flavian, Bruce, Michi und Stefan über "Couch-Surfing", ein soziales Netzwerk, bei dem kontaktfreudige Menschen Low-Budget-Reisenden über das Internet einen gratis Schlafplatz auf dem Sofa anbieten. Gastgeber und Gast kennen sich nicht, es geht also auch um menschliches Vertrauen, immerhin hat man einen kurzen Einblick in das Leben eines Fremden. Natürlich ist diese Zeit voll verrückter Erlebnisse: "Einige der abgefahrenen Geschichten können wir gar nicht erzählen" sagt Flavian, Sänger und Gitarrist von We Invented Paris, und lacht verschwörerisch hinüber zu seinem Bandkollegen Bruce, während er mit seinem Laptop auf dem Schoß in einem fremden Bett liegt.

Im Normalfall handelt es sich bei den Couch-Surf-Angeboten um Studenten-WGs, stilvoll mit Sperrmüll eingerichtet von verrückten Typen, die ihren Gästen die ganze Nacht Filme zeigen wollen und zum Frühstück Crêpes und Cappuccino auftischen. Warum eine Band sich das freiwillig antut? Weil sich immer wieder unbezahlbare Momente voll Inspiration ergeben.

Wie neulich in Belgien: In einer Frittenbude musste sich die Band durch die nach Fett stinkende Küche zu einer Tür kämpfen, hinter der eine Treppe hoch in die eigentliche Wohnung führte. "So richtig dreckig und Messi-mäßig. Flavian hat spontan den Staubsauger genommen und gesaugt, weil wir ja auf dem Boden schlafen mussten", erzählt Bruce, "doch die Jungs waren total nett, sie haben uns noch eine Kiste Bier hingestellt, aber wie die so leben konnten, haben wir nicht verstanden." Die Fenster konnten auch nicht geöffnet werden, die einzige "frische Luft" kam direkt aus der Frittenbude. Und der Gitarrist fügt hinzu: "Ausnahmsweise hatte unser Manager kein Problem, uns um neun Uhr aus dem Bett zu holen." Das ist nicht immer so.

Der Touralltag ist hart. Jeder, der schon mal mit einer Band unterwegs war, weiß das - auf endlosen Strecken im vollen Bandbus führt man die immer gleichen Gespräche, das Vehikel bleibt ohne Benzin mitten auf der nächtlichen Autobahn im Schnee liegen und irgendwann kommt man doch beim Klub an. Warten, trinken, Musik machen - und täglich grüßt der Bandalltag.

Damit We Invented Paris nicht dieser lähmenden Monotonie verfällt, hat sich die Band auch hier etwas überlegt. Durch Konzerte an ungewöhnlichen Orten setzen sich die Schweizer immer neuen Impulsen aus. Zum Beispiel auf Wohnzimmerkonzerten, bei denen 20 Menschen Schulter an Schulter einander nah sind. Ein Konzert muss eben nicht immer auf der Bühne eines Klubs passieren, so wie ein Bild nicht immer auf eine gerahmte Leinwand gemalt werden muss. Rahmen können durchbrochen werden.

Für ihren Sonnabend in Hamburg hieß das konkret: Während ihres Auftritts im St.-Pauli-Friseursalon Haardock lassen sich drei Bandmitglieder die Haare schneiden, der Klang des Rasierers erfüllt den Raum und verbindet sich mit der Musik, während Bruce' Afro-Frisur zu Boden fällt. Im Anschluss tritt die Band in einem stylischen Klamottengeschäft in der Sternschanze auf, das von einer Freundin der Hamburger Gastgeberin geleitet wird. Aus den geöffneten Schaufenstern klingt der akustische Sound von We Invented Paris: feinsinnige Pop-Nummern irgendwo zwischen Death Cab For Cutie und Damien Rice, getragen von der facettenreichen Stimme des Sängers, die nach einem berührenden Falsett auch gerne mal mit den Stimmen der Bandkollegen zum besoffenen Seemannschor übergeht. Auch zu dieser Idee gibt es sicher eine Geschichte.