Die Sopranistin Juliane Banse und der Pianist Aleksandar Madzar musizieren auf ihrer neuen CD Alban Berg und Karl Amadeus Hartmann.

Moderne Musik - dieser Begriff ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts fragwürdiger denn je. Die Moderne ist nämlich auch schon wieder mehr als 100 Jahre alt: Begann sie doch nach landläufiger Auffassung 1908, in dem Jahr, in dem Arnold Schönberg, der spätere Begründer der Zwölftontechnik, die ersten atonalen Werke schrieb.

Die Sopranistin Juliane Banse und der Pianist Aleksandar Madzar widmen sich im ersten Teil ihrer neuen CD "Tief in der Nacht" den Anfängen der Moderne: Alban Bergs Zyklen "Sieben frühe Lieder" und "Jugendlieder" aus den Jahren 1905 bis 1908 bilden die Entwicklung eines Komponisten ab, der als einer der bedeutendsten Vertreter der Zwölftonschule in die Musikgeschichte eingehen sollte und doch zeitlebens der Romantik treu blieb.

Dass der innig-schwärmerische Duktus der Lieder dennoch überrascht, liegt an Banses warmem Timbre und ihrem hinreißend natürlichen Ausdruck. Das Lied "Nacht" auf ein Gedicht von Carl Hauptmann illustriert in seiner Versunkenheit das Motto der CD. Banse zieht den Hörer mit in die Höhen und Tiefen, in denen nur Empfindung zählt, nur das Ich. Dutzende von Farbregistern scheinen ihr zur Verfügung zu stehen, um Wörter anzuhauchen, Vokale aufblühen, Silben verklingen zu lassen, und Madzar formt mondweiche Klaviertöne dazu. Ganz ohne Kitsch besingen die beiden die unendlichen Schattierungen der Nacht: vom melancholisch-lakonischen "Regen" (Johannes Schlaf) über die ekstatische Naturbetrachtung bis zu den Wonnen und Traurigkeiten der Liebe.

So sanft schreitet Berg im Verlaufe der klug ausgewählten Zyklen fort in Richtung freier Tonalität, als wollte er darauf hinweisen, dass jeder sogenannte Fortschritt den Verlust von etwas anderem bedeutet. Die Lieder werden denn auch nicht linear radikaler - vielmehr schmiegen sich immer wieder harmonieferne Wendungen zwanglos in das duftige Gewebe

Theodor Storms Gedicht "Schließe mir die Augen beide" hat Berg zweimal vertont, 1907 und 1925. Die beiden Lieder bilden das Herzstück der CD, anrührend in ihrer Unterschiedlichkeit: hier der innig-schlichte Tonfall des früheren Lieds, dort die schrägen Intervallsprünge, die schon die Zwölftonsprache des älteren Berg sprechen. Aber nicht nur 18 Jahre und ein dramatischer Stilwandel liegen zwischen den beiden Liedern: Das 1907 entstandene hat Berg seiner späteren Frau Helene gewidmet, das von 1925 indessen seiner Geliebten Hannah Fuchs.

Der zweite Teil wirkt wie eine ferne, ja überzeitliche Antwort auf all die Natur- und Liebeslyrik: Karl Amadeus Hartmanns dreiteiliges "Lamento" entstand 1955. In den Jahrzehnten, die seit den Liedern Alban Bergs vergingen, sind Mord, Krieg, Vernichtung über Europa hinweggezogen. Hartmann hat keine zeitgenössischen Gedichte vertont, sondern welche von Andreas Gryphius. Den zutiefst gottesfürchtigen, formstrengen und gerade darum so erschütternden Versen, in die der Dichter des 17. Jahrhunderts das Grauen des Dreißigjährigen Krieges gefasst hat, folgt Hartmann musikalisch in jede Silbe, und die Interpreten mit ihm - ob sie das Wort "Friede" im Unhörbaren ersterben lassen oder aus dem zerklüfteten Lied "An die Mutter" einen einzigen Aufschrei machen: "O Mutter, grade recht für euch von dieser Erd seid ihr, für uns zu früh, ach, gar zu früh gegangen!" Gryphius' Mutter starb 1627. Da war er elf.

Juliane Banse, Aleksandar Madzar: Tief in der Nacht (ECM Records); www.julianebanse.com