Donata Rigg erzählt in “Weiße Sonntage“ vom Tod einer Frau und dem Weiterleben einer anderen. Heute Abend liest sie bei Cohen + Dobernigg

Cohen + Dobernigg. Angeblich hat ihr ein früherer Lektor gesagt, sie solle doch ein Generationenbuch schreiben, also: ein Buch ihrer Generation. Puh. Das ist so, als würde man irgendetwas schreiben, Hauptsache, die Seiten bleiben nicht weiß. Zum Glück ist Donata Riggs Roman "Weiße Sonntage" im Hamburger Mairisch-Verlag erschienen, kaum vorstellbar, dass dort jemand gähnende, von sich selbst ermattete Hinweise gab. Nein, Riggs Debüt ist kein Befindlichkeitsbuch für eine bestimmte Altersgruppe.

Und seinen Reiz schöpft es auch nicht aus der Tatsache, dass es die Emanzipationsgeschichte einer aus der Provinz stammenden jungen Frau erzählt. Auch die hat man ja schon oft gelesen und meist mit Gewinn. Aber verließe sich Rigg allzu sehr auf die Attraktivität dieses Stoffs, "Weiße Sonntage" wäre nicht zu dem weit mehr als gewöhnlichen Roman geworden, der er ist. So entschied sich die 34-jährige in Konstanz geborene Autorin, das Motiv des Zwillings in ihren Roman einzuweben: Heldin des knapp 140 Seiten schmalen Werks ist nicht allein die Berlinerin Maria, sondern gleichzeitig ihre Zwillingsschwester Martha, sie hat sich das Leben genommen. Maria und Martha hat eine beinah inzestuöse Beziehung verbunden.

Außerdem war Maria der Vormund für ihre lebensunfähige Schwester, die weiter das Elternhaus in Süddeutschland bewohnte, nachdem Vater und Schwester längst weg sind, nachdem die Mutter längst tot ist. Der andere als Teil von einem selbst, der auf den anderen projiziert, in den anderen gestoßen wird, das ist ein bekanntes psychoanalytisches Motiv. Es sind oft die aus narzisstischen Gründen unerwünschten und gehassten Dinge, die abgespalten werden. Im Falle Marias ist die Symbolik überdeutlich: Die in der Heimat "zurückgebliebene" Schwester Martha verkommt zur abhängigen, erratischen, verwunschenen Kindprinzessin, zu einer Art Schwundstufe des eigenen Selbst, vielleicht.

Andererseits ist das Leben der Maria auch kein Zuckerschlecken. Der von Alkohol und Religion geprägten Provinz ist sie zwar entkommen, jetzt befindet sie sich allerdings in einem Beziehungskampf mit dem unsympathischen Albert. Sie sind in die verhasste Herkunftswelt gereist, nachdem sich die Schwester vor einen Zug geworfen hat. Dort trinken sie in einer Gaststätte und kreisen erzähltherapeutisch immer wieder um die furchtbare Tat und das Leben, das zu ihr geführt hat.

Weil eine Wunde nicht geschlossen und nur annäherungsweise lokalisiert werden kann, wenn sie seelisch und nicht körperlich ist, ist die Gedenkarbeit Marias eine Tour de Force. "Wenn man sein Leben nicht nur mehr als Biografie betrachtet, als den Durchlauf des Körpers durch Raum und Zeit, als Erinnerungsgeschichte, die immer länger wird und den Geist zersetzt durch die immer größer werdende Anstrengung, das Gelebte ins rechte Licht zu rücken, in einen Sinnzusammenhang zu versetzen, dann gibt es keine Konkurrenz in der Liebe", denkt Maria einmal.

Überhaupt ist Riggs Prosa eine, die sich ihre Sätze aussucht. "Sülz du nicht rum", entfährt es einmal Maria. Die Formulierungen wirken oft eigenartig, keine ist lächerlich-abgeschmackt: "Ein unentwegtes Remis der Ansichten war im Begriff, sich zu verfestigen." Rigg zeigt die Empfindungen ihrer Protagonistin in Slowmotion, manche Sätze sind schön ("Ich saß vor mir in einer verschleierten Laune"), andere skurril ("Wir fickten uns durch den ganzen Topos hindurch"). Und manchmal lässt sie ihre Figuren gedankenschwer Sätze formulieren, die einem zu gewaltig vorkommen, aber gewaltig ist ja auch das Thema, es geht um den Wahnsinn der Verhältnisse, mindestens aber um die Pathologie der Schwesternliebe: "Der Mensch kann erst klar sehen, wenn niemand mehr um ihn ist, der ihm sein Leid abnimmt."

Donata Rigg, die talentierte Autorin, Dramaturgin und Journalistin, lebt nach etlichen Jahren in Berlin mittlerweile in Hamburg. Man wird sie im Auge behalten müssen.

Donata Rigg Lesung, heute, 21.00, Buchhandlung Cohen + Dobernigg (U/S Sternschanze), Sternstraße 4, Eintritt 4,-; weiterer Termin gemeinsam mit Andreas Stichmann ("Jackie in Silber"): Di 14.12., 20.00, Vorwerkstift (U Feldstraße, U Messehallen), Vorwerkstraße 21; www.donatarigg.de