Die zwei Werke des amerikanischen Choreografen Jerome Robbins feiern in der Staatsoper eine glanzvolle Premiere.

Hamburg. Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte, dass das Hamburg Ballett eine der technisch besten, spielfreudigsten, stilistisch vielseitigsten und sichersten Compagnien der Welt ist - hier ist er: "Chopin Dances", die jüngste Ballettpremiere in der Staatsoper mit zwei Werken des Amerikaners Jerome Robbins (1918-1998), "Dances at a Gathering" und "The Concert". Tanz in seiner reinsten, raffiniertesten, auch witzigsten Ausdrucksweise macht Staunen, Lächeln, Lachen. Es ist die schiere Glückseligkeit, nichts, aber auch gar nichts grüblerisch ergründen zu müssen, sondern einfach nur zu genießen.

Selbst in der Groteske "The Concert" sucht Robbins nicht den leichten Weg plumper Belustigung. Mit gespitzter, liebevoll gemeiner Tanzfeder strichelt er wahnsinnig komische, sehr genaue Charakterbilder. Das muss man können. Ballettintendant John Neumeier sei Dank, dass er seinem Kollegen endlich einen ganzen Abend widmet.

Das Publikum war hin und weg und lachte in "The Concert" so herzhaft wie nur in John Neumeiers Choreografie von 1977, "Ein Sommernachtstraum", in dem sich Poesie, Ernst und handfeste Komik fließend unverkrampft verbinden. Dieses Fließende, Losgelöste und in seinem Bewegungsreichtum nie zum Stehen kommende Vorandrängen ohne Druck zeichnet "Dances at a Gathering" aus dem Jahr 1969 aus. Tanzträumereien, Tanzluftnummern, verschenkt mit großer Heiterkeit des Herzens und Zärtlichkeit, jedoch ohne ganz tiefe Leidenschaft.

Es sind keine aufwühlenden Dramen, die Robbins auf Klavierpiècen Chopins - Mazurken, Walzer, Etuden, das Scherzo op. 20 und das Nocturne op. 15 Nr. 1 - erzählt, sondern Stimmungsbilder für fünf Tanzpaare, die in immer neuen Konstellationen zueinanderfinden, sich trennen, verschwinden. Wie hingeweht. Eine junge Frau sucht kurz nach den Burschen, die sie eben umworben haben, ein leichtes Heben der Hände, ein "Na und", und weg ist sie, bevor ein Solist zu virtuoser Brillanz ansetzt mit allen Finessen des klassischen Tanzes und sie dennoch bricht.

Robbins' Choreografie basiert auf dem Kanon einer akademisch strengen Schule, deren Korsett er sprengt mit Verschiebungen, mit unerwarteten Hand- und Fußbewegungen, mit einer Lockerheit, die selbst die schwierigsten Hebefiguren so schwerelos wirken lässt, als seien die Ballerinen wie zufällig auf die Schultern ihrer Partner geraten.

Musik und Tanz scheinen wie aus einem Atem, aus dem Augenblick einer glücklichen, gemeinsamen Eingebung geboren. Deutliche Anleihen beim polnischen Nationaltanz zeugen von der Herkunft Robbins', dessen Eltern, polnische Juden, nach New York eingewandert waren, wo er geboren wurde. Amerikanisch dagegen ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Tänzer bewegen. Einfach nur zu laufen, nicht zu schreiten, das ist für klassische Tänzer eine Herausforderung.

Vor der Projektion eines leicht bewölkten Sommerhimmels spielt sich dieses Tanzwunderwerk ab, das zwar nur Tanz um des Tanzes willen sein soll und doch kleine Geschichten erzählt. Die Solisten des Hamburg Ballett sind ausnahmslos überragend, selbst wenn Hélène Bouchet und Thiago Bordin eben doch als Fixsterne alle anderen überstrahlen. Der polnische Pianist Michal Bialk ist mit Chopins Werk bestens vertraut und als Solist sicherlich tadellos, doch geriet hier manches mechanisch und zu laut. Zudem wusste er noch nicht die Erfordernisse eines das Ballett begleitenden Pianisten wirklich zu erfüllen, die besagen, Blickkontakt mit den Tänzern zu halten.

"The Concert" von 1956 ist das komplette Gegenteil, sein anarchischer Witz, der zu Lachstürmen hinreißt, ist kaum erzählbar. Robbins imaginiert hier, parodistisch unterfüttert von den Philharmonikern unter Markus Lehtinen, das Verhalten von Konzertbesuchern, die als Karikaturen grotesk überzeichnet, gleichzeitig verehrte Klassiker aufs Korn nehmen. Das wäre nicht originell, aber die Subtilität und Skurrilität, mit denen Robbins der Musik in Tanzminiaturen nachspürt, sind einzigartig. In der Präzision und dem Ernst, mit der aberwitzig allzu Menschliches vertanzt wird, liegt die Komik, die auch die Tänzer aufs Vollkommenste erfüllen. Es ist ein Riesenspaß für sie, für uns und den Pianisten Oliver Kern, der den Schmetterlingsirrsinn mit dem Kescher einzufangen versucht.

Chopin Dances nächste Termine: 7.12., 10.12, jew. 19.30, 12.12., 14.30 und 19.30