Hector Berlioz' Fünf-Stunden-Oper “Die Trojaner“ wird fast nie gespielt. Die Deutsche Oper interpretiert sie bunt und mitunter trivial.

Berlin. Wenn man als Intendant auf seiner Opernbühne nicht nur im üblichen Rahmen vor sich hin kleckern, sondern fett klotzen will und kann, dann ist David Pountney der Regisseur, den man für diesen Job ordern sollte. Auf der Bregenzer Seebühne, deren Intendant er ist, gilt es als Markenzeichen des Briten mit den Käpt'n-Ahab-Koteletten, die Stücke mit Bühnenbildern im Godzilla-Format zu versehen, die so plakativ sind, dass bis in die hinterletzte Reihe klar wird, worum es wohl geht.

Hector Berlioz ' größenwahnsinnlicher Geniestreich "Die Trojaner" ist also für einen XL-Dekorateur wie Pountney genau das Richtige - eine antike Sandalenoper vom Überkandideltsten, mit Chormassen, orchestralen Special Effects im Graben und hinter der Bühne, Dutzenden von dauerstrapazierten Solisten, Ballettszenen, Selbstmorden, Rache- und Liebesschwüren und allem, was sonst so dazugehört, sobald höchstens der Himmel noch die Grenze ist. Und von genau dort lässt Pountney dann auch in der ersten Hälfe des Stücks einen monströs skelettierten Pferdekopf und zwei Beine des geschenkten hölzernen Gauls herabschweben, dem die Trojaner mal lieber rechtzeitig ins Maul geblickt hätten.

In Hamburg hatten der Regisseur Götz Friedrich und der Dirigent Sylvain Cambreling den Monumental-Fünfakter auf die Bühne gestemmt, als Joint Venture mit der Deutschen Oper Berlin, das mit vereinten Kräften Produktionskosten sparen sollte. Jetzt bietet sich dem sensationsverarmten hanseatischen Publikum in knapp zwei Zugstunden Entfernung an ebendiesem Haus, das Friedrich als Intendant geprägt hat, die Gelegenheit zum Durchsitzen von fünf weitestgehend kurzweiligen, weil musikalisch aufregenden Stunden.

"Les Troyens" live und in Farbe, wann hat man das in diesen Breitengraden schon mal in Sichtweite? Selbst Berlin hat das Stück seit 1930 nicht mehr erlebt, denn aus der von Friedrich geplanten Zweitinszenierung wurde nichts. Die Reise ist es also allemal wert. Generalmusikdirektor Donald Runnicles, neben seinem Orchester und dem sensationell guten Chor großer Gewinner des Premierenabends, gilt als Wagner-Experte mit Langstreckenkondition und war damit prädestiniert für diese ganz anders gestrickte Helden-Saga mit Überlänge, die Wagner 1859 bei einer Begegnung genauso wenig verstanden hat wie Berlioz dessen "Tristan".

Bei Pountney und seinem Bühnenbildner Johan Engels, die am Ende auch saftige Buhs für ihre Verschlichtung zu hören bekamen, ist das alles ganz einfach, fast wie bei "Malen nach Zahlen", durchsortiert: Das von den Griechen niedergemachte Troja ist düster, im Dunkelrot getrockneten Bluts, finster, archaisch und mit reichlich Trockeneisnebel bedampft, durch den verzweifelt markige Soldaten stapfen, bis sich Kassandra (hochdramatisch: Petra Lang) mitsamt ihren Leidensgenossinnen verzweifelt von dieser Welt in die nächste befördert, weil ja niemand ihren warnenden Rufen glauben wollte.

Die Zwischenstation der Trojaner auf dem Weg ins gelobte Land Italien, zur späteren Gründung Roms, die hingegen ist licht, hell, so disneybunt weiß, gelb und grün wie eine klassische Ziegfeld-Revue, bei der nur noch die große Showtreppe fehlt. Überzuckerter Edelkitsch wird hier aufgefahren, den man höchstens als ironischen Kommentar ernst nehmen könnte. Wenn er denn ironisch gemeint gewesen wäre. In diesem Bilderbuch-Karthago herrscht eine Dido (optisch übermondän, stimmlich sehr präsent: Béatrice Uria-Monzon) in prächtigen Roben über ein herzensgutes, tänzerisch durchtrainiertes Volk, das manierlich gezirkelte Kurz-Ballette aufführen kann und sich generell des nordafrikanischen Lebens freuen würde, wären da nicht die bösen Nachbarn, die ihnen an die Pludermäntel wollten.

Was dann wiederum die ruppigen Trojaner mit ihrem Anführer Aeneas (eher markig statt lyrisch und gegen Ende kräftig aufbrausend: Ian Storey) auf den Plan ruft. In ihn verliebt sich die dankbare Gastgeberin prompt. Den Krieger lässt das Pflichtbewusstsein aber wieder von dannen ziehen, Dido flucht ihm Hannibal als Rächer Karthagos an den Hals, bevor auch sie sich, mit Kassandra als Moral-von-der-Geschicht-Rückendeckung, ins Schwert stürzt.

Man könnte dieses überlebensgroße Stück als riesige Parabel über Macht und Ohnmacht, über Weltherrschaftsfantasien und Ranküne verstehen und deuten. Die Themenkombination aus Göttern, Gräbern und Gefährten gäbe mehr als genug dafür her. Man könnte es aktualisieren, verfremden, modernisieren, die historisierenden Grand-Opéra-Konventionen seiner Entstehungszeit als Rahmen verstehen, den man von innen heraus sprengen muss, um zum zeitlos gültigen Kern zu kommen. Alle Wege führen bekanntlich nach Rom, etliche hätten zum ungebrochenen, unbestreitbaren Regie-Erfolg geführt. Doch Pountney wollte diese Optionen so gut wie nicht nutzen. Er wollte den Karthago-Teil offenbar so hübsch und so harmlos wie möglich abspulen lassen und verlloydwebberte die gefürchtete Pantomime am Beginn des vierten Akts, bei der Dido und Aeneas anschließend in der "Nacht der unendlichen Ekstase" in großen Seifenblasen vor einem Sternenhimmel durch das Ges-Dur-Duett baumeln, als wäre schon Weihnachten.

Dank des zum Äußersten entschlossenen Ensembles, der großartigen Orchester- und Chorleistungen und der immensen Raffinesse und Energie der Partitur kann man solche Abrutscher ins Triviale zwar verschmerzen. Als Erkenntnis bleibt aber, dass manche großartigen Stücke einfach zu kompliziert sind, um sie großen Vereinfachern zu überlassen.

Die Trojaner: 11., 16., 19.12. / 6., 11., 20.3.2011