Die Grazer Zeitschrift “manuskripte“ liefert seit 50 Jahren literarische Avantgarde. Eine Würdigung

Wien. Man kann dem Grazer Geistesleben manches vorwerfen, etwa dass es "sanft vertrottelt" ist, wie Hans Magnus Enzensberger Anfang der 60er-Jahre im "Spiegel" schrieb, allerdings ist es das längst nicht mehr. 150 Schriftsteller haben sich im Grazer Schauspielhaus eingefunden und erweisen Alfred Kolleritsch die Ehre, gemeinsam mit Günther Walldorf hat er 1960 die Literaturzeitschrift "manuskripte" gegründet. Es ist die beste, die es gibt.

Schon an den Gratulanten kann man sehen, dass sie nicht vor dem Untergang steht: Peter Handke und Péter Esterházy sind da, Friederike Mayröcker, Robert Menasse, Jürg Laederach, Urs Widmer und Arno Geiger. Die Konkreten und die Klassiker, Experimentierer von strengster Observanz, die alten Wilden und die neuen Braven. Man sieht die Suhrkamp-Prominenz und Österreichs Kunstministerin Claudia Schmied, die zum Anlass die passenden Worte findet: "Hohe Dichterdichte!", ruft sie ins Halbdunkel des Parketts, in ein beeindruckendes Gruppenbild der Literatur. Der Abend ist eröffnet.

Was folgt, ist ein interdisziplinäres Missverständnis. Im Schein der Lampen lesen Schauspieler an Kaffeehaustischchen. Mit forciertem Timbre und ausladender Gestik werden Werke aus fünf Jahrzehnten "manuskripte" vorgetragen. Man muss das mögen, nicht alle mochten es. Seinen Stock in die Luft stoßend, stürmte Paul Wühr aus der Loge. "Weg, nichts wie weg! Unglaublich!" Doch am Ende gab es beim Dichterempfang wärmende Anekdoten. Wie Ernst Jandl Listen junger Talente geführt hat, die man unbedingt in den Manuskripten veröffentlichen müsste. Konrad Bayer, der große Melancholiker, hat in Wien die "manuskripte" ausgetragen. Von den denkwürdigen Pornografieprozessen der Sechziger ist beim Fest noch oft die Rede, Sätze wie "der Gegenstand zog sein Glied aus der Wirklichkeit" waren damals starker Tobak. In Deutschland sammelte Alfred Kolleritsch Unterschriften, und damals schon waren sie alle dabei. Solidaritätsadressen gab es von Günter Grass bis Uwe Johnson.

International wurde es bald auch auf anderer Ebene. 1966 reiste eine Abordnung der "manuskripte" nach Polen und verbrüderte sich aufs Heftigste mit dem Gastvolk. Wolfgang Bauer begrüßte das polnische Volk, indem er sich seiner Kleidung entledigte und sie aus dem Zugfenster warf. Ersatz in Form einer Damenbluse und Badelatschen traf erst kurz vorm Besuch beim indignierten österreichischen Botschafter ein.

Gegen die Provinz und den ländlich-rechtskonservativen Geist sind die "manuskripte" vor 50 Jahren gegründet worden, sie sind ein Komplementärphänomen ihrer Umgebung geblieben und zum international gültigen Symbol geworden. Nur an der Mur konnte entstehen, was das deutsche Feuilleton bald als Literaturwunder zur Kenntnis nahm. Die Zeitschrift mit den expressiven Umschlägen hat die Avantgarde versammelt, als sie nicht nur neue Formen des Schreibens ausprobierte, sondern ihre Rebellion auch offen austrug.